Sehnsucht nach Owitambe
ihm nach draußen zu gehen. Beim Aufstehen nahm er heimlich ein paar Zuckerstücke aus der Dose. Ricky freute sich; es war das erste Mal, dass ihr Großvater so etwas wie Zuneigung zeigte. Seit ihrer Auseinandersetzung damals waren sie einander weitgehend
aus dem Weg gegangen. Trotz der positiven Veränderungen war Johannes grüblerisch geblieben. Er schwieg viel und hing stundenlang seinen düsteren Gedanken nach. Jedem Gespräch, das ihre Eltern auf Raffael und Sarah zu bringen versuchten, ging er unwillig aus dem Weg.
Den ganzen Vormittag und auch noch einige Stunden am Nachmittag widmeten sich Großvater und Enkelin der Erziehung des jungen Affen. Jacko begriff schnell, dass er für gewisse Dinge belohnt und für andere bestraft wurde. Schon bald verhielt er sich in Anwesenheit seiner beiden Erzieher vorbildlich. Befanden sie sich allerdings außerhalb seiner Reichweite, scherte er sich keineswegs mehr um das Erlernte, sondern betrachtete die Farm und ganz besonders das Haus als ein aufregendes Spielzeugland.
Ricky musste einsehen, dass ihr Vater recht hatte. Jacko konnte nicht unbeaufsichtigt durch das Haus streichen. Er würde dort immer wieder Schaden anrichten.
»Du dummer Affe«, schimpfte sie genervt, als sie ihn dabei erwischte, wie er heimlich durch das Fliegengitter des Küchenfensters ins Haus einzudringen versuchte. »Was sollen wir nur mit dir tun?«
Johannes strich sich nachdenklich über das Kinn.
»Du musst ihn daran gewöhnen, draußen zu schlafen. Wir können Paschas Käfig herrichten und ihn die ersten Nächte dort unterbringen. Sobald er sich daran gewöhnt hat, von dir getrennt zu sein, können wir die Käfigtür offen lassen. Jacko muss lernen, dass er nur ins Haus darf, wenn einer von uns Menschen dabei ist. Es wird nicht leicht sein, es ihm beizubringen.«
»Das fürchte ich auch«, stöhnte Ricky, die die Erziehungsarbeit ziemlich anstrengend fand. »Hilfst du mir dabei?«
Sie sah ihren Großvater bittend an. Für einen kurzen Augenblick tauchte auf Johannes’ Gesicht ein seltenes Lächeln auf, das sofort wieder verschwand, als er sich dessen bewusst wurde.
»Nun«, brummte er, »hin und wieder werde ich wohl ein Auge auf euch haben können.«
»Danke, Großvater!« Ricky trat auf den alten Mann zu und gab ihm einen Kuss auf seine stoppelige Wange.
Am Abend saßen sie auf der Veranda. Es war einer jener friedlichen Abende, wo die Geräusche aus der Savanne wie der stille Nachhall eines erfüllten Tages klangen. Johannes und Fritz rauchten eine Pfeife, während Jella noch über ihren Plänen für die neue Praxis brütete. Ricky war bereits schlafen gegangen, um das Schreien Jackos nicht länger hören zu müssen. Irgendwann hatte er sich zum Glück in sein Schicksal ergeben und war verstummt.
Jella fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. Ihre Listen waren vollständig, und sie freute sich auf ihre neuen Aufgaben. Bald würde sie ihre ersten Patienten behandeln. Nachdenklich beobachtete sie Johannes, der an diesem Abend ungewöhnlich ausgeglichen schien. Sie mutmaßte, dass es mit Ricky zu tun hatte, und freute sich, dass die beiden sich endlich angefreundet hatten. Vielleicht war das ja der richtige Zeitpunkt, um wieder einmal das Gespräch auf ihren Bruder und dessen Mutter zu bringen.
»Könnte es nicht sein, dass Raffael zu seiner Himba-Familie gegangen ist?«, fragte sie direkt. Es entsprach nicht ihrem Charakter, lange um den heißen Brei herumzureden.
Johannes nahm seine Pfeife aus dem Mund und sah seine Tochter unwillig an.
»Und wenn schon«, knurrte er. »Wenn es seine Bestimmung ist, bei diesen Wilden zu leben, dann soll er es doch tun. Besser, als im Gefängnis zu verschimmeln.«
»Du solltest nicht so abfällig von Sarahs Familie sprechen«, empörte sich Jella. »Schließlich ist sie deine Frau.«
Johannes fuhr unwirsch mit der Hand durch die Luft. »Ich
habe es ja auch nicht so gemeint.« Er schwieg. »Wahrscheinlich habe ich mir all die Jahre etwas vorgemacht. Leute wie Nachtmahr haben vielleicht gar nicht so unrecht mit ihren Meinungen. Die Afrikaner sind völlig anders als wir.«
»Das fällt dir aber ziemlich spät ein«, bemerkte Jella spitz. »Ich habe dich immer dafür bewundert, dass du keine Vorurteile hattest, sondern die Menschen so angenommen hast, wie sie sind, ungeachtet ihrer Hautfarbe.«
»Vielleicht war das ein Fehler. Außerdem ist Raffael ein Hitzkopf. Er wollte immer mit dem Kopf durch die Wand. Ihm fehlt eindeutig die
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