Sehnsucht nach Owitambe
deutsche Tugend des Gehorsams. Zum Glück seid ihr jetzt da. Bei euch ist Owitambe in guten Händen.«
Jella wollte das so nicht stehen lassen. Vielleicht war ihr Bruder ja jähzornig und manchmal hitzköpfig, aber im Grunde genommen war er ein ehrlicher Mensch, dem Gerechtigkeit überaus wichtig war.
»Du tust Raffael unrecht«, sagte sie. »Wir mögen ihn lange nicht gesehen haben, aber aus jedem Brief, den er mir schrieb, konnte ich herauslesen, dass er ein intelligenter junger Mann ist, der sich für die Dinge einsetzt, die ihn interessieren.«
»Pah«, schnaubte Johannes. »Flausen, nichts als Flausen hatte der Junge im Kopf. Er wollte studieren. So ein Unsinn. Ein Farbiger mit einem Universitätsabschluss. Er würde in der weißen Gesellschaft nie eine Anstellung finden. Es war schon schwer genug, ihn an die Schule in Windhuk zu bekommen. Ich wollte immer das Beste für den Jungen und habe ihn schließlich wohl auch davon überzeugt. Alles hätte gut werden können. Als Farmer hätte er es zu großem Ansehen gebracht. Aber dann muss er sich ja in dieses Flittchen verlieben und es obendrein auch noch schwängern. Ich will mit dem Jungen nichts mehr zu tun haben.«
»Sonja war schwanger … ?« Jella musste die unerwartete Nachricht erst einmal verdauen. »Aber dann müsste das Kind
ja bereits auf der Welt sein. Was ist mit ihm? Geht es den beiden gut?«
Fritz war ebenso erstaunt wie seine Frau. »Nur komisch, dass Imelda und Rajiv uns nichts davon erzählt haben«, wunderte er sich. »Normalerweise haben die Buschtrommeln solch eine Nachricht im Nu verbreitet.«
Johannes war das Thema äußerst unangenehm. Er fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut, sah aber ein, dass er jetzt endlich mit der Sprache herausrücken musste.
»Vor einiger Zeit kam Isabella von Nachtmahr zu unserer Farm. Sie war völlig aufgelöst und erzählte Sarah und mir von Sonjas Schwangerschaft. Ihr Mann wusste noch nichts davon, da er immer noch schwer verletzt war. Sie hatte fürchterliche Angst, dass er seiner Tochter etwas antun würde, wenn er es erfuhr. Er hatte immer noch vor, Sonja so schnell wie möglich zu verheiraten, und er hatte wohl auch schon einen geeigneten Heiratskandidaten im Blick. Frau von Nachtmahr wollte, dass wir ihr helfen, das zu verhindern.«
Johannes Hände ballten sich verbittert. »Das Mädchen hat Sitte und Anstand verloren. Sie war es, die meinem Sohn den Kopf verdreht hat. Sie ist kein Deut besser als ihr Vater! Ich habe Isabella von Nachtmahr weggeschickt und sie aufgefordert, niemals mehr einen Fuß auf Owitambe zu setzen.«
»Du hast was …?« Jella sprang vor Empörung von ihrem Stuhl auf. »Willst du damit sagen, dass du Sonja ihrem Schicksal überlassen hast? Ja, weißt du denn nicht, wozu dieser Nachtmahr fähig ist?«
Sie sah kurz zu Fritz, der ihr bestätigend zunickte. »Ich habe immer gedacht, dass du ein großherziger, weit blickender Mann bist«, sagte sie und rang nach Luft. »Das warst du auch einmal. Als ich damals zum ersten Mal nach Afrika gekommen war, da warst du der großherzigste Vater, den man sich vorstellen konnte. Vielleicht hast du es vergessen, aber auch ich
war schwanger und unverheiratet. Konventionen waren dir damals egal.«
»Fritz ist ein Mann, der zu dir passt«, rechtfertigte sich Johannes. »Das war etwas ganz anderes.«
»War es das?« Fritz schlug seine Pfeife aus. »Du hast Jella immer so akzeptiert, wie sie war, obwohl sie, weiß Gott, keine konventionelle Frau ist.« Er lächelte ihr liebevoll zu. »Von Raffael hast du dagegen immer verlangt, dass er den Weg beschreitet, den du ihm vorgezeichnet hast. Hat er denn nicht das Recht, selbst über sein Leben zu entscheiden?«
»Diese Sprüche sind Unsinn«, behauptete Johannes. »Sie könnten von Sarah stammen.«
»Hat Sarah dich deswegen verlassen?«, mischte sich Jella erneut ein. Das Schweigen ihres Vaters war ihr Antwort genug. Mit einem Mal wurden ihr viele Dinge klar. »Natürlich! Nachdem ihr klar geworden war, dass du nichts für Raffaels Kind unternehmen würdest, sah sie sich veranlasst, ihren Sohn zu suchen, um ihn über die neuen Umstände aufzuklären.«
Ungläubig schüttelte sie ihren Kopf. »Merkst du denn nicht, dass du durch deine Sturheit alles verlierst, was dir lieb ist?«, fragte sie leise. »Ich werde diese unklaren Verhältnisse auf keinen Fall länger dulden. Morgen fahre ich zu den Nachtmahrs und erkundige mich nach Raffaels Kind.«
Schmerz und Freud
Jella war von nun an
Weitere Kostenlose Bücher