Sehnsucht nach Owitambe
waren alle Afrikaner arme, ziemlich geistlose Menschen, denen nur Gott und die deutsche Moral noch helfen konnten, zu anständigen, zivilisierten Menschen zu werden. Nur das Verbot von standesamtlichen Ehen, wie es der stellvertretende Gouverneur Tecklenburg heftigst forderte, würde dieser elenden Rassendurchmischung noch Einhalt gebieten können.
Es klopfte. Bevor der Distriktchef sein gebieterisches »Herein« rufen konnte, öffnete sich schon die Tür, und ein hochgewachsener Mann mittleren Alters betrat die Amtsstube.
Der Distriktchef kräuselte missliebig die Stirn. Auch über die
Achtung vor höher stehenden Amtspersonen hatte er seine eigenen Ansichten.
»Ich habe noch nicht ›Herein‹ gesagt«, meinte er deshalb ungnädig. Den Mann kümmerte diese Bemerkung offensichtlich wenig.
»Ich komme in einer wichtigen Angelegenheit«, bemerkte er knapp. Der Distriktchef musterte den Eindringling genauer. Er kannte diesen Mann. Das war doch dieser Farmer von der südöstlich gelegenen Farm direkt am Waterberg. Ein Afrikanerfreund namens Sonthofen, der seine Arbeiter sogar an seinem Gewinn beteiligte. Sofort hatte er wieder jene unschöne Szene vor Augen, als ihm dieser Sonthofen vor wenigen Wochen triumphierend die von höchster Stelle bewilligte Erlaubnis zur Heirat einer dunkelhäutigen Himba auf den Schreibtisch gelegt hatte. Er selbst hatte den Antrag auf die Heirat selbstverständlich abgelehnt. Seine Stimmung verschlechterte sich zusehends.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, schnauzte er deshalb den Eintretenden ziemlich unwillig an. »Sehen Sie nicht, dass ich zu tun habe?«
Sonthofen ließ sich von seiner Schroffheit nicht abschrecken. Im Gegenteil. Er knallte dem Distriktchef den Kaufvertrag von Owitambe auf den Schreibtisch und deutete auf einen bestimmten Vermerk.
»Was soll das?«, fragte der Distriktchef indigniert. Was bildete sich dieser verkafferte Farmer überhaupt ein?
»Nehmen Sie sofort das Papier von meinem Tisch und verschwinden Sie!«, herrschte er ihn an.
»Einen Dreck werde ich tun«, sagte Sonthofen grimmig. Er sah den Beamten aus funkelnden Augen an, während sich seine Augenbrauen einander gefährlich annäherten. Einen Augenblick überlegte der Distriktchef, der von seiner Statur her eher schmächtig war, ob dieser Mensch vielleicht auch zu unmittelbarer Gewalt neigen konnte.
»Meinen Sie etwa, ich komme nur aus Jux und Dollerei hierher?«, polterte dieser Mensch ihn in einer Lautstärke an, die ihm gewiss nicht zustand. Der Distriktchef beschloss um seiner eigenen Sicherheit willen, diesen Grobian anzuhören.
»Um was geht es also?«
»Mein Nachbar, Rüdiger von Nachtmahr, hat sich ein wertvolles Stück meines Landes unter den Nagel gerissen, obwohl ich eindeutig beweisen kann, dass dies widerrechtlich geschehen ist. Lesen Sie das! Danach werden auch Sie erkennen, dass ein Eingreifen durch die Obrigkeit unabdingbar ist!«
Vom donnernden Tonfall in Sonthofens Stimme verunsichert, rückte der Distriktchef seine Brille zurecht und las den Abschnitt. Er beschrieb aufs Genaueste den Grund und die Ausdehnungen von Owitambe.
Fragend sah der Distriktchef Sonthofen an.
»Na und? Und worin soll nun diese Vertragsverletzung liegen?«
»Hier!« Johannes deutete mit dem spitzen Finger auf den Passus, worin die Nagelquelle erwähnt war. »Kurioserweise behauptet mein werter Nachbar Rüdiger von Nachtmahr ebenfalls, dass ihm diese Quelle zusteht. Er hat die Dreistigkeit besessen, diese Quelle einzuzäunen. Meine Tiere wären beinahe alle verendet. Verstehen Sie nun meine Empörung?«
»Immer mal langsam!« Der Distriktchef bemühte sich, seine Autorität zurückzugewinnen. »So schnell ist der Fall nicht zu klären. Herr von Nachtmahr ist ein ehrenwerter Bürger unseres Schutzgebiets. Er hat selbst beim Militär gedient und sich dort seine Sporen verdient. Ihre Anschuldigung belastet diesen makellosen Bürger schwer.«
»Was ja auch der Wahrheit entspricht«, konterte Sonthofen wütend. »Außerdem habe ich einen Zeugen. Mein Vorarbeiter Samuel wird Ihnen alles bezeugen.«
»Ich nehme an, dieser Vorarbeiter ist ein Weißer?«, fragte der
Distriktchef. Er fühlte, wie er wieder Oberwasser gewann. Natürlich war er längst im Bilde, dass auf Sonthofens Farm fast ausschließlich Schwarze beschäftigt waren.
»Ich wüsste nicht, was das hiermit zu tun hat«, meinte Sonthofen. »Er ist ein Herero, und er ist mein Zeuge.«
»Hmm. Das macht die Sache nicht einfacher.«
»Was wollen Sie
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