Sehnsucht nach Owitambe
hatte, sein Herz dazu zu zwingen.
Twi hatte ihn entdeckt und gesellte sich zu ihm. Er war mit einigen anderen Männern auf der Jagd gewesen, jedoch ohne Beute zurückgekehrt. Er nahm neben Bô im Schatten des Baums Platz und beobachtete das Spiel.
»Es ist gut, dass die Leute wieder spielen«, meinte er zufrieden. »Nakeshi hat ihnen Hoffnung gebracht.« Bô schwieg betrübt. Leider galt das für ihn nicht.
»Tsa und Kumsa versuchen alles, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Anstatt ihre Familie mit Fleisch zu versorgen, schenken sie ihre wenige Beute Nakeshi.«
»Nakeshi ist verheiratet!«, sagte Bô grimmig. »Gao wird sich über Nakeshis Bewunderer nicht freuen. Ich kenne ihn.«
»Pah! Vergiss Gao«, meinte Twi mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Sie hat ihn nach dem Tod unseres Vaters verlassen.«
»Sie hat ihn verlassen?«, fragte Bô verblüfft. »Hat Gao sie etwa schlecht behandelt?«
Twi zuckte mit den Schultern. »Wie man’s nimmt. Nakeshi geht ihren eigenen Weg. Sie tut, was ihr gefällt. Das hat Gao nicht gefallen. Sie haben dauernd gestritten. Kein Wunder. Es ist nie gut, wenn eine Ehe nicht aus freiem Willen geschlossen wird!«
Bô schüttelte ungläubig den Kopf. Das verstand er nicht. Seiner Meinung nach war Nakeshi in Gao verliebt gewesen.
»Was interessiert dich das überhaupt?«, fragte Twi. Er musterte Bô neugierig und grinste schließlich. »Du bist damals ihretwegen
weggegangen, stimmt’s?« Freundschaftlich knuffte er Bô in die Seite.
»Sie wollte mich nicht«, gab er traurig zu. »Ich war ja auch nur ein halbblinder Krüppel, und Gao ist einer der besten Jäger, die ich kenne. Was sollte sie schon mit mir anfangen?«
»Du bist einer der besten Fährtenleser und Jäger unserer Gruppe.«
Bô lachte verbittert auf. »Ja, aber das wusste ich lange nicht. Nach dem Unglück dachte ich, dass mich die Geister meiner Ahnen verflucht haben. Ich fühlte mich hilflos und dachte, dass ich für die Gruppe unnütz bin. Deshalb zog ich fort.«
»Nakeshi ist eine Heilerin«, sagte Twi ernst. »Sie sieht immer hinter die Dinge. Dein blindes Auge hat sie sicher nicht gestört. Sie hätte dir beigestanden.«
»Das hätte sie nicht.« Bô schüttelte den Kopf. »Schließlich habe ich selbst gehört, wie sie Nisa gestanden hat, dass sie Gao heiraten will.«
Twi seufzte.
»Frauen sind wie launische Nashörner. Man weiß nie, was in ihren Köpfen vorgeht.«
Der neue Distriktchef in Otjiwarongo war erst seit wenigen Monaten in seinem Amt. Sein Vorgänger war von seinem Amt abgezogen worden, weil er korrupt und alkoholabhängig gewesen war. Zwei Eigenschaften, die dem neuen Distriktchef ganz und gar abgingen. Mit der ihm eigenen Akribie und preußischen Disziplin ging er seit Wochen daran, die Unregelmäßigkeiten seines Vorgängers aufzuklären und Angelegenheiten neu zu bearbeiten. Sorgfältig arbeitete er Akte für Akte durch, versah sie mit seinen Anordnungen, leitete sie weiter und wandte sich der nächsten zu. Links von ihm türmten sich die in Angriff zu nehmenden Unterlagen, rechts wuchs der ordentliche
Stapel mit den bearbeiteten Akten. Seine Vorstellungen von Amtsführung waren klar umrissen. Es galt, Paragrafen einzuhalten, die von der deutschen Kolonialabteilung in Berlin extra für das Schutztruppengebiet Deutsch-Südwest erlassen worden waren. Zu seinem Leidwesen strebte sein höchster Vorgesetzter im Schutztruppengebiet, Gouverneur Leutwein, nicht immer diesen Zielen entgegen. Die Toleranz, mit der der Gouverneur die einheimischen Afrikaner behandelte, war für ihn äußerst befremdlich. Nicht nur, dass der Gouverneur durchaus freundlichen Umgang mit diesen aufsässigen Herero führte, anstatt den zunehmenden Überfällen, die von ihnen ausgingen, endlich Einhalt zu gebieten. Mindestens genauso schlimm fand er es, dass Leutwein nichts dagegen unternahm, dass immer mehr Deutsche Beziehungen zu afrikanischen Frauen unterhielten, obwohl, wie es selbst die Rheinische Missionsgesellschaft ausdrückte, sie sich damit mit einer »tiefer stehenden« Rasse einließen. Die Kinder, die solchen Mischbeziehungen entsprangen, waren, sofern sie ehelich geboren wurden, damit nach dem Gesetz über die »Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit« vom 1. Juni 1870 somit deutsche Staatsangehörige. Was für ein Unding! Der Distriktchef schüttelte sich bei dem Gedanken, was für Konsequenzen diese Vermischung der Rassen für das Deutsche Reich haben konnte. Seiner Meinung nach
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