Sehnsucht nach Owitambe
ihnen herab. Jella war überrascht, wie jung Isabella von Nachtmahr noch war. Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass Rüdiger von Nachtmahr bereits weit über fünfzig Jahre alt war. Seinen fast erwachsenen Sohn Achim hatten sie ja auf der Hochzeit kennengelernt. Isabella hingegen mochte kaum älter als fünfunddreißig sein, auch wenn ein gewisser herber Zug in ihrem blassen Gesicht auf Verhärmung und verstecktes Leid hindeutete und sie wesentlich älter aussehen ließ. Es kostete sie offensichtlich einige Überwindung, die Besucher angemessen zu begrüßen.
»Ich bitte um Entschuldigung«, brachte sie mit leiser Stimme hervor. »Wir bekommen hier so selten Besuch. Ich … ich war darauf nicht vorbereitet.«
Ihr Gesicht errötete leicht, als sie entschuldigend auf ihr einfaches Kleid und die Schürze deutete.
»Aber ich bitte Sie«, ergriff Jella sogleich das Wort. Sie wollte dieser zerbrechlichen Frau alle Peinlichkeiten ersparen. »Wir haben uns zu entschuldigen, schließlich sind wir einfach hier so hereingeplatzt.«
»Ich war gerade beim Fensterputzen.«
Jella zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Sie fand es höchst
ungewöhnlich, dass eine Baronin von Nachtmahr selber Fenster putzte. Überall im Haus schienen dafür Lakaien vorhanden zu sein.
»Aber bitte sehr«, meinte Fritz verbindlich. »Ich hoffe, wir kommen nicht ungelegen, aber wir waren gerade in der Gegend und beschlossen spontan, Ihnen und Ihrem Gatten einen Antrittsbesuch abzustatten. Wie Sie wissen, leben meine Frau Jella und ich nun ebenfalls auf Owitambe .«
Isabella nickte leicht und reichte Jella die Hand. Sie vermied dabei scheu jeden Blickkontakt. Was für eine feine und zartgliedrige Hand sie hatte. Sie passte gar nicht zu den eingerissenen Fingernägeln und den abgescheuerten Handflächen. Jella wagte kaum, diese Hand kräftig zu drücken.
»Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen«, meinte sie freundlich. »Vielleicht können wir Frauen uns ja ein wenig unterhalten? Ich bin noch nicht sehr lange in Afrika und kenne mich nicht sehr gut aus. Sicherlich können Sie mir ein paar hilfreiche Tipps für das Leben hier geben?«
Isabella zuckte etwas zurück, als wäre sie gar nicht gewohnt, dass man sie um ihre Meinung bat. Aber dann sah sie kurz auf und lächelte, bevor sie sich Fritz zuwandte, der ihr ein paar galante Komplimente machte, bevor er sich nach dem Baron erkundigte.
»Rüdiger ist noch unterwegs«, sagte Isabella vorsichtig. »Er müsste allerdings jeden Augenblick zurück sein. Wenn Sie auf ihn warten wollen, dann lasse ich Ihnen gern etwas Tee und Gebäck bringen.«
Sie stand auf, um nach dem Personal zu rufen. Dann entschuldigte sie sich und ging hinauf, um sich umzuziehen. Der Bambuse und ein Dienstmädchen brachten unterdessen Tee und etwas Gebäck.
»Immerhin weiß Nachtmahr, wie man einen Haushalt führt«, meinte Fritz anerkennend und nippte an seiner dampfenden
Teetasse. »Der Tee ist ausgezeichnet. Er stammt bestimmt aus Indien.«
»Findest du es nicht seltsam, dass die Baronin Fenster putzt?«
Jella runzelte kritisch die Stirn. Das vornehme Gehabe im Hause Nachtmahr beeindruckte sie wenig. »Überhaupt macht mir die Frau einen verängstigten und nicht sehr gesunden Eindruck.«
Fritz stimmte ihr zu.
»Sie muss einmal eine wahre Schönheit gewesen sein«, meinte er anerkennend. »Wer weiß, was sie so verbittern ließ.«
Als Isabella von Nachtmahr zurückkam, sah sie wie verwandelt aus. Ihre Haare waren ordentlich hochgesteckt. Außerdem trug sie ein helles Chiffonkleid, das ihre zarte Figur vorteilhaft betonte. Sie lächelte, doch ihr Lächeln war starr und ohne Leben. Fritz und Jella gaben sich alle Mühe, eine Konversation in Gang zu bringen, doch Isabella antwortete nur einsilbig und mit Belanglosigkeiten. Offensichtlich war sie es nicht gewohnt, dass man sie in Unterhaltungen mit einbezog. Erst als Jella das Gespräch auf ihre Kinder brachte, taute sie etwas auf. Isabella und Rüdiger von Nachtmahr hatten zwei noch lebende Kinder. Nach dem achtzehnjährigen Achim hatte Isabella vier Fehlgeburten erlitten, bevor vor vier Jahren noch Nachzüglerin Sonja auf die Welt gekommen war.
»Sonja ist ein liebes Kind«, meinte Isabella mit einem warmherzigen Lächeln. »Sie ist mein Sonnenschein.« Über Achim verlor sie hingegen kein Wort.
»Ist sie hier?«, fragte Jella freundlich. »Ich würde sie gern kennenlernen.«
Isabella schüttelte bedauernd den Kopf.
»Sie hat gerade Unterricht in Benehmen. Rüdiger
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