Sehnsucht nach Owitambe
Professor Koch
eine bemerkenswert gute Ausbildung genossen, die in vielem weit besser ist, als viele approbierte Ärzte sie vorweisen können. Außerdem kenne ich keinen Mediziner, der so aufmerksam an die Anamnese seiner Patienten geht, wie du es tust. Du beobachtest scharf und ziehst keine voreiligen Schlüsse. Es ist meines Erachtens sogar ein Vorteil, dass deine Gedanken nicht allzu akademisch strukturiert sind. Dadurch stehen dir auch neue Wege offen. Kaum ein arrivierter Mediziner aus Europa würde zum Beispiel auf die Idee kommen, auch die Heilkunst der Afrikaner mit in sein Repertoire aufzunehmen. Du hast damit ja schon gute Erfolge vorzuweisen. Außerdem kennst du meine sämtlichen Medizinbücher besser als ich selbst. Für mich bist du längst eine hervorragende Ärztin.«
Jella schüttelte den Kopf. Fritz’ Kompliment rührte sie und schmeichelte ihr. Dennoch wurmte es sie immer noch, dass eine Gesellschaft, die Frauen nicht als vollwertige Mitglieder ansah, es ihr verwehrt hatte, Medizin zu studieren.
Fritz hielt die Kutsche an, sprang vom Kutschbock und stieg zu ihr in den Wagen, um sie in den Arm zu nehmen. Er küsste sie zärtlich auf den Mund und sah sie liebevoll an. Dabei zupfte er vorsichtig eine Strähne aus ihrem Gesicht.
»Du behauptest ja nicht, eine Ärztin zu sein. Für die Menschen hier bist du eine Heilerin. Jeder Stamm hat seine eigenen Medizinmänner, denk nur an Nakeshi. Bei dir ist es ganz ähnlich. Du hast die Fähigkeit, den Menschen zu helfen. Aber wenn du willst, werde ich dich unterrichten. Wer weiß, vielleicht werden die Behörden das ja sogar eines Tages anerkennen.«
Jella lachte hart, doch dann begegnete sie Fritz’ Blick, und ihre Züge wurden wieder weich.
»Du bist einfach der wunderbarste Mann, denn ich finden konnte!«
Nach gut zwei Stunden näherten sie sich Hakoma. Die Farm lag ein ganzes Stück westlich von Owitambe und verfügte bei weitem nicht über so fruchtbares Land. Außerdem wurden die wenigen saftigen Weidegründe auf Hakoma von Nachtmahr viel zu intensiv genutzt. Auf Owitambe ließ man die Herden nicht zu groß werden und trieb sie ständig von einer Weide zur anderen. Dadurch konnte sich der abgegraste Boden schnell wieder erholen. Zwar war der Profit nicht so hoch wie bei einer intensiven Nutzung, dafür aber umso nachhaltiger. Die Rinder waren besser ernährt und gaben mehr Milch. Einige von Nachtmahrs ursprünglich saftigen Weiden lagen mittlerweile schon brach. Die ausgetrocknete Erde war aufgebrochen und karg. Kein Wunder, dass sich Nachtmahrs Interesse nun auf das wesentlich fruchtbarere Owitambe richtete.
Als sich die Kutsche schließlich einer prächtigen, von zwei Seiten zugänglichen, gemauerten Auffahrt näherte, kam Jella dann doch ins Staunen. Rüdiger von Nachtmahr hatte sich kein einfaches Steinhaus errichtet, wie es die meisten Südwestler taten, sondern er hatte sich ein Schloss bauen lassen. Rechts und links eines zweigeschossigen Mittelbaus ragten zwei Türmchen in den Himmel. Eine breite Treppe führte zu einem erhöhten Portal; ein silberner Löwenkopf an der geschnitzten Eichentür diente als Klopfer.
Ein dunkelhäutiger Bambuse in schwarzweiß gestreifter Hose und Gamaschen öffnete ihnen mit einer leichten Verbeugung die Tür. Seine weiße Weste war frisch gestärkt. Rechts vom Eingang befand sich eine silberne Schale, in der Besucher ihre Visitenkarte ablegen konnten. Der Boden war mit schwarzweißen Fliesen ausgelegt, während eine schwarze geschwungene Marmortreppe ins obere Geschoss führte. Die Wände des Foyers zierten Trophäen. Ein riesiger ausgestopfter Elefantenkopf mit angehobenem Rüssel und ausgebreiteten Ohren blickte aus Glasaugen zu ihnen herab. Ihm gegenüber hing ein Nashornkopf,
während auf dem Boden Fell und Kopf eines Löwen lagen. Jella schauderte, als sie daran dachte, wie herrlich die Tiere in der freien Wildbahn waren. Der Bambuse führte sie zu einer Sitzgruppe und bat sie, Platz zu nehmen, bis er den Herrschaften Bescheid gesagt habe.
Die beiden mussten nicht lange warten. Kurze Zeit später kam eine zierliche Frau von fast ätherischem Aussehen die Treppe hinunter. Ihre Schritte waren langsam, fast ein wenig zögerlich. In der Mitte der Treppe blieb die Frau einen Moment stehen. Das Licht, das durch das bunte Glasfenster hinter ihr schien, ließ sie wie eine zerbrechliche Porzellanfigur aussehen. Beim Anblick ihrer Besucher erschrak sie kurz, doch dann fasste sie sich ein Herz und stieg zu
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