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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Mennen
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hinter sich her aus der Hütte. Immer wieder versuchte sie den schreienden Jungen zu beruhigen, aber er schrie so laut, dass die Viehräuber auf sie aufmerksam wurden. Vengape rannte los. Sie wollte versuchen, sich und die Kinder zu verstecken. Die Onganda ihrer Eltern war etwa einen halben Tagesmarsch von der ihren entfernt. Ihre Hoffnung war, dass den Viehräubern die Tiere genügten. Aber sie wurde enttäuscht. Sie war noch nicht weit gekommen, als zwei der Viehräuber sie mit ihren Pferden aufhielten. Einer versuchte, ihr die Kinder zu entreißen, während der andere vom Pferd sprang, sie packte und ihren Lendenschurz herunterriss. Vengape schrie und wehrte sich. Sie strampelte und biss den Viehräuber ins Ohr, als er sie zu Boden zwang, um sich an ihr zu vergehen. Plötzlich sank der Körper
des Viehräubers schwer auf ihr zusammen. Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, dass der Mann tot war. Sie krabbelte unter seinem Körper hervor und sah, wie Etomakwa blutüberströmt mit dem anderen Nama kämpfte. Er versuchte ihn vom Pferd zu ziehen. Doch der Nama war bewaffnet und es gelang ihm, Etomakwa mit dem Gewehrkolben auf den Kopf zu schlagen. Vengape hörte, wie Etomakwas Kopf wie eine Kalebasse zerbarst. Sie erinnert sich noch heute an seinen Blick, der Wut und Verzweiflung zeigte, bevor er brach und starr und kraftlos wurde. Als der andere Viehräuber sah, dass sein Freund tot war, ergriff ihn namenlose Wut. Er schrie etwas in einer Sprache, die Vengape nicht verstand. Dann richtete er sein Gewehr auf die zwei Kinder, die sich mittlerweile ängstlich um ihre Mutter geschart hatten, und machte Vengape klar, dass sie zu ihm kommen sollten. Doch sie dachte nicht daran. Sie umschlang ihre Kinder mit den Armen und weigerte sich, ihm nachzukommen. Der Mann wurde noch wütender. Er trieb sein Pferd auf sie zu und brachte sie zu Fall. Das Mädchen schrie vor Schmerz auf, weil es von einem Pferdehuf getroffen war. Der Junge wurde weiter weggeschleudert. Ihn erschlug der Viehräuber als Erster. Dann tötete er das Mädchen mit einem Kopfschuss, um sich dann mit Vengape zu befassen.«
    Sarahs Stimme verstummte endgültig. Ihre Hände waren fest in die Bettdecke verkrallt, und sie presste die Lippen fest aufeinander. Mit maßlosem Entsetzen begriff Johannes, dass Vengapes Geschichte gleichzeitig auch Sarahs Geschichte war. Er wusste nicht, was ihn mehr traf, sein Mitleid für seine Frau oder der Hass auf diese barbarischen Viehräuber und Mörder. Vergeblich suchte er nach tröstenden Worten. Er fand sie nicht, gleichzeitig wusste er, dass es sie auch gar nicht gab. Was für ein grenzenloser Egoist er doch all die Jahre gewesen war. Sarahs Zuneigung und Liebe waren für ihn immer etwas Selbstverständliches gewesen. Von Sarah hatte er verlangt, dass sie seine
Sorgen verstand, obwohl er sie ihr nie anvertraut hatte, aber er selbst hatte sich nie für ihr vergangenes Leben interessiert.
    »Verzeih mir!« Mehr Worte kamen ihm nicht über die Lippen. Sarahs Blick war immer noch fest an die Decke geheftet. Sie reagierte nicht auf ihn, sondern brachte im gleichen, monotonen Tonfall ihre Erzählung zu Ende.
    »Vengape ertrug die Schändungen, die ihr der Mann angetan hatte. Sie flehte ihn nur an, sie danach zu töten. Doch den Gefallen tat ihr der Viehräuber nicht. Er ließ sie wie ein Stück Dreck zurück. Die Männer zerstörten ihre Onganda und nahmen alles Vieh mit sich. Dann war sie allein. Der Anblick ihrer ermordeten Familie raubte ihr fast den Verstand. Ihre Familie, ihr Leben war zerstört. Sie hatte als Einzige überlebt. Dann sah sie Etomakwas Messer, das er immer noch in der Hand hielt. Sie entwand es seinen Fingern und versuchte, sich selbst damit zu töten. Doch die Geister ließen es nicht zu. Sie versagte und ließ das Messer schließlich heulend fallen. Dann lief sie los. Ihre Schritte waren ziellos und unermüdlich. Stunden um Stunden kämpfte sie sich vorwärts, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrach. Ohne Absicht begann sie sich von ihrer Heimat und ihrem Volk zu entfernen. Tagsüber brannte die Sonne auf ihr Haupt, und nachts fror sie in ihrer Nacktheit. Irgendwann brach sie zusammen, und ihr letzter Gedanke, bevor sie die Besinnung verlor, war, dass sie hoffte, nie wieder zu erwachen.
    Doch die Geister können grausam sein. Vengape erwachte wieder, aber sie war nicht mehr Vengape. Sie war eine andere geworden. Vengape war in der Onganda mit ihrer Familie gestorben. Die Frau, die sie nun war, war eine

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