Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Dann rollte er einen Geldschein zusammen und sog das Pulver durch die Nase ein, lehnte sich zurück und tat einen tiefen Seufzer. Schneller, als wir reagieren konnten, sprang Constanze über den Tisch, griff nach der Dose, riss daran. Ruppert schlug ihr auf die Hand. Die Dose fiel zu Boden. Constanze stürzte sich darauf, öffnete sie und sog den Rest des Pulvers mit solch verzweifelter Gier ein, dass wir anderen den Blick abwenden mussten. Sie leckte die Dose aus. Unter dem Tisch, auf den Knien. Doch es war nicht genug. Schließlich sprang sie auf, sprang regelrecht auf Ruppert zu. Sie presste sein Gesicht zwischen ihre Hände und leckte gierig die Kokainreste von seiner Oberlippe.«
»Hör auf!« Malu hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. »Hör auf. Es ist zu schrecklich.«
Isabel nickte. »Ich weiß. Aber du sollst es jetzt auch wissen. Constanze ist krank. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie kennt kein Mitgefühl, keine Verantwortung, nichts mehr. Alle ihre Gedanken kreisen um Kokain. Man kann ihr nicht einmal einen Wellensittich anvertrauen. Und ein Kind schon gar nicht. Du bist die Tante des Kindes. Weißt du, was das bedeutet?«
Malu erwiderte nichts. Sie starrte aus dem Fenster, vergaß sogar die Zigarette in ihrer Hand. Sie dachte an früher, als sie mit Constanze und Janis das Gut unsicher gemacht hatte.
»Ich bin schuld. An allem bin nur ich schuld. Ich habe Constanze nach Berlin gelockt und sie für meine Interessen eingesetzt. Ich war es, die sie in die Revuetheater geschickt hat. Es ist alles meine Schuld.«
»Quatsch!« Isabel drückte ihre Zigarette mit Nachdruck im Aschenbecher aus. »Constanze ist erwachsen. Sie kann auf sich selbst aufpassen. Nichts ist deine Schuld. Oder hast du sie etwa gezwungen, mit nach Berlin zu kommen?«
Malu schüttelte den Kopf.
»Hast du ihr befohlen, Kokain zu nehmen?«
Erneut schüttelte Malu den Kopf.
»Constanze ist, wie sie ist. Und sie ist kein Kind mehr. Wir alle haben hin und wieder mit Kokain zu tun, aber niemand von uns anderen ist süchtig danach. Es ist nicht deine Schuld.«
Malu zuckte mit den Schultern. »Wenn Constanze nicht für das Kind sorgen kann, dann tu ich es«, erklärte sie leise. »Das Kind braucht Papiere, es muss auf dem Standesamt gemeldet werden. Ich werde das tun. Das Kind wird eine von Zehlendorf.« Sie sah Isabel an. »Und das ist gut so, denn schließlich ist sie auch eine von Zehlendorf.«
»Wenn Ruppert der Vater ist, dann ja. Aber wie willst du mit dem Kind hier leben?«
»Ich gehe zurück nach Riga. Meine Zeit in Berlin ist zu Ende. Ich habe mir einen Namen gemacht und werde auch von Riga aus arbeiten können. Das Kind soll geordnet aufwachsen. Ich gehe zurück, sobald alle Angelegenheiten hier erledigt sind.« Sie nickte noch einmal und spürte, wie eine Last von ihrer Schulter fiel. »Ich habe Constanze hierher gebracht und sie hier dem Unglück preisgegeben. Ich werde nicht zulassen, dass ihrer Tochter etwas Ähnliches geschieht. Sie wird als eine von Zehlendorf dort aufwachsen, wo ihre wirkliche Heimat ist. Sie wird eine gute Schulbildung erhalten, sie wird Klavier spielen und sich um nichts sorgen müssen. Das bin ich Constanze schuldig.«
Isabel nickte ebenfalls. »Willst du Ruppert denn gar nicht mit ins Boot holen? Schließlich ist es vermutlich sein Kind.«
Malu schüttelte den Kopf und lächelte dabei kläglich. »Es soll frei sein, das Kind. Nicht belastet mit einem Vater, der sich nicht kümmert.«
Isabel stand auf, trat zu Malu und umarmte sie. »Du bist stark. Du wirst es schaffen. Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da. Das verspreche ich. Aber was wird aus Constanze?«
Malu zuckte mit den Schultern. »Ich werde ihr anbieten, mit nach Hause zu kommen. Aber ich befürchte, sie wird nicht wollen. In Riga kommt man schlechter an Kokain als hier. Außerdem kennt sie dort niemanden. Ich wollte sie schon auf meine Reise mitnehmen.« Malu schüttelte den Kopf. »Ich werde ihr ein Angebot machen. Sie soll mitkommen, in eine Klinik gehen und dort gesund werden. Aber wenn sie das nicht will, sind mir die Hände gebunden.«
»Ich wünsche dir viel Glück. Und ich meine das aufrichtig. Lass das Kind wenigstens noch hier taufen. Ich wäre sehr gern seine Patentante.«
Malu lächelte und seufzte zugleich. »Ich habe das Gefühl, dass ich nicht so recht weiß, worauf ich mich da einlasse«, sagte sie leise. »Aber habe ich denn eine andere Wahl?«
Isabel legte ihr eine Hand an die Wange und
Weitere Kostenlose Bücher