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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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sammelte sich langsam. Sie hatte oft genug gesehen, wie Kühe kalbten. Um eine Hebamme zu holen, war es zu spät; es gab niemanden hier, den sie schicken konnte. Und Constanzes Schoß war bereits weit geöffnet.
    Malu atmete einmal tief durch. »Du musst pressen«, erklärte sie. »Bei der nächsten Wehe musst du stark pressen. Ich komme sofort zurück, setze nur Wasser auf und hole ein paar Handtücher.
    »Nein!«, flehte Constanze. »Bleib bei mir. Ich sterbe.«
    »Unfug! Heutzutage sterben die wenigsten Frauen bei der Entbindung.«
    Dann eilte sie hinaus, ließ die Tür jedoch offen und hörte Constanzes Keuchen.
    Noch vor wenigen Minuten war sie benommen aufgestanden, doch jetzt waren ihre Gedanken klar, und sie handelte rasch und entschlossen. Malu setzte mehrere Kessel Wasser auf, zerriss ein weißes Bettlaken und holte eine weiche Decke.
    Sie hörte Constanze laut aufschreien und lief zu ihr. »Pressen, du musst fest pressen!«, befahl sie mit ruhiger Stimme.
    Schon war in Constanzes Schoß ein Büschel dunkles Haar zu erkennen.
    »Das Kind, es kommt! Ich kann es schon sehen. Pressen! So press doch!« Malu versuchte, das Köpfchen zu fassen, doch es entglitt ihr.
    Constanze schrie auf, ein langer, heulender Schrei, dann glitt das Köpfchen zwischen ihre Beine, und Malu fasste es vorsichtig links und rechts und zog das Kind aus dem Schoß der Mutter.
    Constanze keuchte und japste, dann begann sie zu weinen.
    »Du hast es geschafft«, sagte Malu sanft. »Es ist vorbei. Schau mal: dein kleines Mädchen.«
    Sie durchtrennte die Nabelschnur und zeigte Constanze das Kind. Doch Constanze drehte sich mit dem Gesicht zur Wand, schlang beide Arme um ihren Körper und zog die Beine an, als wäre sie das Neugeborene.
    Malu kümmerte sich zuerst um die Kleine. Sie badete sie, hüllte sie in weiche Handtücher und baute auf ihrem Bett eine Umrandung, sodass der Säugling nicht herausfallen konnte. Dann erst sah sie nach Constanze. Die Freundin lag noch immer in derselben Körperhaltung im Bett.
    Malu setzte sich auf den Bettrand. »Du hast ein kleines Mädchen. Es ist wunderschön, weißt du. Bald wird es erwachen und Hunger bekommen. Du musst dich um es kümmern.«
    Constanze wälzte sich herum. Sie zitterte am ganzen Leib. »Mir ist so kalt«, flüsterte sie. »Ich friere so erbärmlich.«
    »Das kommt von der Anstrengung«, erklärte Malu, doch in Wirklichkeit kam ihr zum ersten Mal der Verdacht, dass dieses beständige Frieren eine andere Ursache hatte. »Freust du dich nicht über deine Tochter?«, fragte sie zaghaft.
    Constanze betrachtete Malu mit brennendem Blick. »Ich habe kein Kind«, erwiderte sie fest. »Das musst du geträumt haben.«
    Malu nickte und stand auf. »Ruh dich aus, Constanze. Einstweilen kümmere ich mich um alles.«
    Sie schloss leise die Tür und seufzte, als sie im Flur stand. Aus ihrem Zimmer hörte sie ein leises Quäken. Sie nahm das in Handtücher gewickelte Baby und drückte es vorsichtig an ihre Brust. Mit ihm zusammen verließ sie die Wohnung und ging eiligen Schrittes zur Concierge-Loge. »Bitte, schicken Sie jemanden zu Isabel von Ruhlow!«, verlangte sie. »Es muss schnell gehen. Sehr schnell.« Sie holte einen Geldschein aus ihrer Börse und legte ihn hin.
    »Wie Sie wollen.« Die Concierge betrachtete das Kind, das an Malus Brust schlief. »Ich habe noch eine Wiege auf dem Dachboden stehen. Wenn Sie möchten, verkaufe ich Sie Ihnen.«
    Malu nickte. »Bringen Sie sie uns, so schnell Sie können. Doch vorher schicken Sie bitte nach Isabel von Ruhlow.«

Achtundzwanzigstes Kapitel
    Berlin, 1923
    I sabel von Ruhlow kam schneller, als Malu gedacht hatte. Und sie kam allein, ohne ihre französische Geliebte Anita.
    Sie fragte nicht lange, sondern handelte. Zuerst besorgte sie Nahrung für den Säugling und ein paar Sachen zum Anziehen, dazu Windeln, Cremes und alles, was ein Neugeborenes sonst noch brauchte. Auch einen mit ihr befreundeten Arzt ließ sie kommen, der keine Fragen stellte, sondern einfach nur Constanze versorgte und wieder ging, ohne seinen Namen genannt oder nach ihrem gefragt zu haben.
    Später, das Kind lag satt und gut gewickelt in der Wiege der Concierge und schlief, saßen Isabel und Malu in deren Atelier.
    »Es ist gut, dass Sie mich gerufen haben, Fräulein Mohrmann«, sagte Isabel.
    Malu nickte. »Ich wusste mir keinen anderen Rat.«
    Beide schwiegen eine kleine Weile und nippten an ihrem Rotwein. Sie maßen sich dabei mit unauffälligen Blicken. »Kann ich dir

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