Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
Vom Netzwerk:
würde. Doch dann schlief Malu selbst ein. Als sie zwei Stunden später erwachte, erschrak sie. Sie sprang auf und eilte aus der Wohnung; die Tür ließ sie offen, damit sie die Kleine hören konnte, falls sie schreien würde. Unten im Laden sah Malu, dass die meisten ihrer Truhen und Kisten bereits ausgeräumt waren. Die Stoffballen lagen ordentlich im Regal, und die Fensterscheiben blitzten frisch geputzt.
    Salomonow saß auf einer Kiste, die noch ungeöffnet mitten im Raum stand, vor sich einen halben Laib Brot und eine würzige baltische Wurst. Er schnitt mit dem Taschenmesser dicke Scheiben von beiden ab. »Bitte, nehmen Sie.«
    »Danke.« Erst jetzt merkte Malu, wie hungrig sie war. Sie hatte seit ihrer Abfahrt aus Berlin keinen Bissen mehr zu sich genommen. Dankbar griff sie nach dem Brot und der Wurst und biss herzhaft hinein.
    Nach der Stärkung hatten sich auch ihre Nerven beruhigt. Sie blickte David Salomonow an. »Warum tun Sie das alles?«
    Der Arzt zuckte mit den Schultern. »Warum sollte ich es nicht tun?«, entgegnete er. »Im Krieg haben Sie nicht lange gefragt, sondern geholfen, wo Not am Mann war. Jetzt helfe ich Ihnen. Der Mensch ist nicht dafür gemacht, allein zu sein. Die Welt wäre ein schönerer Ort, wenn jeder ein wenig mehr auf den anderen achten würde. Meinen Sie nicht?«
    Malu nickte. Und dann räumten sie gemeinsam den Laden ein, und Salomonow erzählte von Riga, von seinen Patienten, kramte Anekdoten aus, und Malu lachte und lächelte und fühlte sich endlich angekommen und zu Hause.
    Der Arzt stellte keine Fragen. Er wollte nicht wissen, was sie zurück nach Riga verschlagen hatte, fragte auch nicht nach Violas Vater. Er tat so, als wäre es das Normalste von der Welt, dass sie hier, in der Màrstalu iela , ein Ladengeschäft und ein Schneideratelier führen wollte.
    Zwei Wochen später eröffnete Malu offiziell den Laden »Malu«. Sie hatte einige Kleider nach neuen Entwürfen genäht, und die meisten davon wurden noch am Eröffnungsabend verkauft. Auch wenn Malu ihr Arbeitsleben nun weiterführen konnte – ihr Alltag unterschied sich sehr von dem in Berlin.
    Jeden Morgen gegen sechs Uhr wurde Viola wach. Malu trat an ihr Bettchen, nahm sie heraus und liebkoste die Kleine so lange, bis sie zu weinen aufhörte. Dann fütterte sie Viola, kleidete sie an und frühstückte dabei selbst nebenher. Anschließend ging sie in ihr Atelier. Auch dort stand eine Wiege, in der Viola die nächsten Stunden schlief. Am Nachmittag kam eine Kinderwärterin. Während Malu Besorgungen erledigte und Termine wahrnahm, ging die Kinderwärterin mit dem Baby spazieren. Malus Abend aber gehörte wieder ganz Viola. Sie hatte es sich angewöhnt, der Kleinen ein paar Lieder vorzusingen. Danach legte sie sie in ihr großes Bett und legte sich daneben. Sie betrachtete verzückt das winzige Gesichtchen, die kleinen Hände, mit denen Viola herumfuchtelte. Behutsam streichelte Malu sie in den Schlaf, legte sie dann zurück in das Babybettchen und arbeitete bei offener Tür noch so lange, bis die Müdigkeit sie übermannte. Meist wurde Viola gegen zwei Uhr in der Nacht noch einmal wach. Dann sprang Malu schlaftrunken aus dem Bett, wechselte die Windel, machte Milch warm, fütterte das Kind und wiegte es im Arm, bis es wieder eingeschlafen war.
    Einmal pro Monat schickte Malu ein Dutzend Kleider nach Berlin, da sie noch immer in guten Geschäftsbeziehungen zum KaDeWe stand. Das Geld, das sie damit verdiente, stellte sie Constanze zur Verfügung. Ansonsten hörte und sah sie nichts von der Freundin.
    Einmal schrieb Isabel von Ruhlow, dass sie sich Sorgen mache, denn Constanze würde immer mehr in die Sucht abrutschen. Daraufhin schrieb Malu an Ruppert einen Brief, doch der fühlte sich nicht zuständig.
    »Wenn ich mich um jede Hure der Stadt kümmern müsste, um jede Süchtige, dann würde ich kaum noch zu meinen eigenen Geschäften kommen«, ließ er mitteilen.
    Malu sorgte sich um Constanze. Am liebsten wäre sie nach Zehlendorf gefahren, um Janis zu Hilfe zu holen. Doch sie verschob die Reise immer wieder. Der Laden, die Aufträge, die kleine Viola. Immer wieder fielen ihr Ausreden ein.
    Salomonow, dem sie sich anvertraut hatte und den sie inzwischen David nannte, drängte sie nicht.
    David kam beinahe jeden Abend. Manchmal brachte er Malu Blumen mit. Ein anderes Mal hatte er ein Glas Honig dabei oder eine Zeitschrift. Er saß bei Malu, hörte sich ihre Sorgen an, zärtelte die Kleine und war so selbstverständlich

Weitere Kostenlose Bücher