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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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Sündenbock. Die Juden waren schon immer die Sündenböcke. Schau dir nur die Zeitungen der Rechtsradikalen und Nationalsozialisten an. In diesen Blättern wird den Juden die Schuld an allem gegeben.«
    »Ich habe keine Feinde in Berlin«, erwiderte Malu. »Außerdem werde ich nur ein paar Tage dortbleiben. Nur so lange, bis ich alles geregelt habe.«
    »Aber dein Bruder. Er ist doch in der NSDAP, sogar in einer führenden Position. Du hast ihn weder zu unserer Hochzeit eingeladen, noch hast du ihm geschrieben, dass du verheiratet bist. Mit einem Juden.«
    Malu zuckte mit den Schultern. »Mein Bruder, ja. Er war schon immer anders als ich, hat anders gedacht, hatte andere Werte. Er würde mich nicht verstehen. David, begreif doch. Wir leben im Jahr 1926. Es hat sich einiges geändert in Deutschland.« Sie hob trotzig das Kinn. »Außerdem ist Ruppert trotz allem mein Bruder.«
    »Wie du meinst«, erwiderte David und legte Malu beide Hände auf die Schultern. »Wenn du fahren musst, dann fahr. Aber gib gut auf dich acht, Malu. Viola und Daniel brauchen ihre Mutter. Und ich, ich brauche dich ebenfalls.«
    Malu lehnte ihren Kopf an seine Brust. »Ich brauche dich auch, David. Ohne dich ist mein Leben nicht halb so glücklich.« Sie meinte, was sie sagte, und als sie in Davids Augen blickte, erkannte sie, dass er ihr glaubte, aber dies manchmal zu wenig für ihn war.
    »Ich muss nach Berlin«, wiederholte Malu. »Ich muss dort mein altes Leben zu Ende bringen. Erst wenn ich das getan habe, bin ich ganz frei.« Sie hob den Kopf, suchte seinen Blick. »Erst dann bin ich bereit, dich so zu lieben, wie du es verdienst. Und das zu können, wünsche ich mir mehr als alles andere auf der Welt.«

Sechsunddreißigstes Kapitel
    Berlin, 1926
    B erlin! Malu roch die Berliner Luft, kaum, dass der Zug am Bahnhof Zoo gehalten hatte.
    Isabel von Ruhlow erwartete sie.
    Die beiden Frauen umarmten sich. »Wo ist Anita?«, wollte Malu wissen. »Warum ist sie nicht mitgekommen?«
    Isabel verzog traurig den Mund. »Sie hat mich verlassen. Sie ist zurück nach Frankreich gegangen. Hier, in Deutschland, könne man nicht mehr leben, hat sie behauptet.«
    Malu hob die Augenbrauen. »Was meint sie damit?«
    »Wir sind angespuckt worden auf der Straße, und unsere Wohnungstür wurde mit Sprüchen beschmiert. ›Perverse Säue‹ stand darauf. Der Bäcker wollte uns nicht mehr bedienen, und im Gefallenen Engel haben wir sogar Lokalverbot bekommen, weil es sich angeblich nicht gehört, weil es widernatürlich und der deutschen Seele nicht gemäß ist, dass zwei Frauen eng umschlungen miteinander tanzen.«
    Malu legte Isabel eine Hand auf den Arm. »Das tut mir leid«, sagte sie.
    Isabel nickte. »Es ist möglich, dass ich auch nicht mehr lange in Deutschland bleibe. Ein Vetter von mir ist nach Amerika gegangen. In New York, schrieb er mir, würden Journalistinnen gesucht. Mit meinen Fotos hätte ich sicherlich gute Chancen, zumal ich mittlerweile zwei eigene Ausstellungen hatte.«
    »So schlimm steht es?« Malu konnte es nicht glauben.
    Isabel sah sie ernsthaft an. »Es wird erst schlimm. Und dann wird es richtig schlimm, glaub mir.«
    Sie hatten das Bahnhofsgebäude verlassen und standen auf dem Vorplatz. Malu ließ ihren Blick schweifen. Da stand die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wie eh und je. Auf den ersten Blick konnte sie nichts Ungewöhnliches entdecken.
    Doch dann kam eine Horde älterer Hitlerjungen über den Platz. Sie grölten und führten sich auf, als gehöre ihnen die Stadt. Neben dem Bahnhof, an eine Mauer gelehnt, wartete eine ältere Prostituierte auf Kunden. Sie sah müde aus und schenkte den Jungen keine Beachtung.
    »Eine deutsche Frau verkauft sich nicht!«, rief einer der Hitlerjungen.
    Die Hure schaute gelangweilt auf. Sie schien Beschimpfungen gewohnt zu sein.
    Plötzlich stürzten sich vier der Jugendlichen auf sie und zerrten sie von der Wand weg. Zwei hielten sie fest, ein dritter schlug ihr so fest ins Gesicht, dass ihr Kopf zur Seite fiel. Der vierte aber öffnete seine Hose und pinkelte die Frau an.
    Dann ließen sie sie los. Die Frau sackte ohne ein Wort, ohne eine Träne neben der Mauer zusammen.
    Malu wollte hineilen, aber Isabel hielt sie fest. »Lass das. In diesen Zeiten muss sich jeder selbst helfen. Du handelst dir nur Ärger ein.«
    Der Anblick der Frau, die, besudelt und geschlagen, auf dem Boden hockte, brannte sich in Malus Gedächtnis. Ein paar Augenblicke später kamen andere Huren, die sich beim

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