Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Auftauchen der älteren Hitlerjungen in Hausnischen versteckt hatten. Sie halfen der Frau auf und brachten sie weg.
»Komm!« Isabel zupfte ihrer Freundin am Ärmel. »Wir fahren erst einmal zu mir. Dort kannst du dich frisch machen und eine Kleinigkeit essen. Den Rest erledigen wir später.«
Isabel hatte inzwischen auch ein Automobil. Sie fädelte sich in den Verkehr ein und fuhr die wenigen Meter bis zu ihrer Wohnung.
Als Malu sich erfrischt und gestärkt hatte, fragte Isabel: »Was willst du nun tun?«
Malu erzählte Isabel von den gefälschten Kleidern. »Ich werde Ruppert zur Rede stellen!«, sagte sie.
Isabel zuckte mit den Schultern. »Er hat sich verändert, weißt du. Hoffe nicht darauf, dass er auf dich hört.«
Malu starrte auf die Tischplatte und fuhr mit dem Finger die Holzmaserung nach. »Ich weiß«, sagte sie nach einer Weile. »Aber er ist mein Bruder. Ich muss es wenigstens versuchen.«
»Wirst du Constanze besuchen?«
Malu nickte. »Ich werde sie mit nach Hause nehmen. Sie kann bei mir leben.«
Isabel zog die Schultern hoch, als ob sie fröre. »Ich fürchte, das wird sie nicht wollen.«
»Aber auch das muss ich wenigstens versuchen.«
»Sie ist auch nicht mehr die, die du einst gekannt hast, Malu. Berlin hat uns alle verändert, hat uns zu schlechteren Menschen gemacht.« Isabel sah Malu beschwörend an und griff nach ihrer Hand. »Fahr zurück, Malu. Reise ab, so schnell du kannst. Hier ist alles verdorben. Ich will nicht, dass auch du davon angesteckt wirst.«
Malu schüttelte den Kopf. »Ich muss erst einiges in Ordnung bringen. Danach werde ich fahren.« Sie sah auf. »Es kann sein, dass ich niemals wieder zurückkehren werde. Dies hier ist eine andere Welt. Eine Welt, in die ich nicht gehöre.«
»Dann lass uns zu Constanze fahren. Ich werde dich begleiten.«
Sie fuhren fast eine Stunde, ließen Berlin hinter sich, fuhren auf Chausseen und waren bereits inmitten der Altmark, als Isabel endlich sagte: »Hier ist es.«
Wenig später betraten Isabel und Malu ein weiß verputztes Gebäude, das ländlich wirkte. Hinter dem Haus schloss sich ein großer Garten an. Malu erblickte Kirsch-und Apfelbäume. Die Eingangshalle war freundlich gestaltet, überall standen Blumen herum. Einfache Sitzgruppen unter farbenfrohen Bildern luden zum Verweilen ein.
»Es ist fast wie in einem Hotel«, sagte Malu staunend.
Isabel nickte. »Und die Preise sind nicht viel niedriger als im Adlon.«
Ein Arzt kam des Weges und begrüßte Isabel, die anschließend Malu vorstellte.
»Sie also sind Marie-Luise«, sagte der Arzt und betrachtete sie von oben nach unten.
»Ja. Ich bin Marie-Luise Salomonowa. Haben Sie kurz Zeit? Ich möchte mit Ihnen über Constanze sprechen.«
»Bitte!« Der Arzt deutete auf einen Tisch mit Stühlen. Er zog zwei von ihnen nach hinten und half den beiden Frauen, sich hinzusetzen, ehe er selbst Platz nahm. »Was möchten Sie wissen?«
Malu kam gleich zur Sache. »Ich möchte Constanze mit mir nach Riga nehmen. Dort ist es ruhig und beschaulich. Sie kann in meinem Atelier arbeiten und hat die Möglichkeit, ihre Tochter zu sehen, wann immer sie mag, ohne die Verantwortung für die Kleine übernehmen zu müssen. Außerdem ist mein Mann Arzt. Er kann ihr helfen, wenn sie Hilfe braucht.«
Der Arzt verzog nachdenklich den Mund. »Fragen Sie sie. Fragen Sie sie, ob sie damit einverstanden ist. Vom medizinischen Standpunkt aus ist gegen einen Umzug nichts einzuwenden. Constanze ist austherapiert. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
Malu schüttelte den Kopf, Isabel fasste nach ihrer Hand.
Der Arzt schloss kurz die Augen, fasste sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und rieb daran. Erst jetzt fielen Malu die dunklen Ringe unter seinen Augen auf.
»Sie kam zu uns mit einem großen Suchtproblem. Nun, es ist uns gelungen, sie vom Kokain abzubringen. Aber Constanze verweigert jede Mitarbeit. Sie ist ein Suchtcharakter, sie ersetzt eine Sucht durch eine andere.«
»Was ist es jetzt?«, fragte Malu und musste schlucken. Ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet.
Der Arzt sah sie ernst an. »Männer. Es sind Männer. Sie ist süchtig nach ihrer Aufmerksamkeit, tut alles, um von ihnen beachtet zu werden.«
»Was tut sie?«
»Nun, letzte Woche erschien sie nackt zum Essen. Sie wusste genau, was sie tat. Sie ist nicht verrückt. Jedenfalls nicht im üblichen Sinn.«
»Und was ist mit ihr?«
Der Arzt seufzte. »Was ich Ihnen jetzt sage, ist keine
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