Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
sich heran. »Sehen Sie nach! Ihr Name steht im Kragen.«
Malu griff nach dem Kragen und sah nach. Tatsächlich! Sie erkannte ihren Namen, ihren Schriftzug.
Jetzt nestelten auch Birute, Valerija und eine vierte Frau an ihren Kleidern. Und sie alle hielten Malu ihren Namen vors Gesicht. Ihren Namen in Kleidern, die so schlampig verarbeitet waren, dass man sich dafür nur schämen konnte!
»Wie kann das sein?«, fragte Malu. »Ich habe Ihnen diese Kleider doch nicht verkauft! Nein, das ist ganz und gar unmöglich.«
»Nein, Sie haben uns diese billigen Klamotten nicht angedreht. Wir haben sie in einem Geschäft auf der anderen Seite des Flusses gekauft. Modehaus Europa heißt der Laden. Hätten wir sofort bemerkt, wie schlecht sie verarbeitet sind, hätten wir sie natürlich niemals gekauft. Doch erst nach dem ersten Waschen wurden die Schäden sichtbar.«
Malu warf beide Arme in die Höhe. »Ich kenne den Laden nicht, ich bin noch nie dort gewesen! Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist.«
»Dieser Laden«, erklärte Birute, deren Stimme noch immer sehr verärgert klang, »dieser Laden brüstet sich damit, die neueste Mode aus den europäischen Hauptstädten im Angebot zu haben. Kleider aus Berlin, Schuhe aus Mailand, Spitze aus Brüssel, Wolle aus Dublin. Dort, genau dort, habe ich dieses Kleid als neuestes Berliner Modell gekauft.«
»Und ich meines«, fügte Valerija hinzu.
»Und ich.«
»Und ich auch.«
Malu fühlte sich in eine Ecke gedrängt. Sie konnte nur immer wieder den Kopf schütteln. »Das ist unmöglich«, wiederholte sie gebetsmühlenartig. »Ich kann mir das nicht erklären. Das muss ein bedauerlicher Irrtum sein.«
»Fast bin ich geneigt, Ihnen zu glauben«, erklärte Birute. »Aber ist es jetzt nicht Ihre Aufgabe, herauszufinden, wer mit Ihrem Namen Schindluder treibt? Und wenn Sie denjenigen gefunden haben, dann richten Sie ihm bitte aus, dass mein Mann sich als Anwalt mit ihm in Verbindung setzen wird.«
Fünfunddreißigstes Kapitel
Riga, 1926
G leich am nächsten Morgen machte sich Malu auf den Weg ans andere Flussufer zum Modehaus Europa. Sie ahnte längst, wer hinter diesem Betrug steckte. Und nicht nur das. Jetzt war sie sich beinahe sicher, wer damals die Entwurfsbücher aus ihrer Berliner Wohnung gestohlen hatte. Aber sie wollte es mit eigenen Ohren hören.
Der Geschäftsführer des Modehauses empfing sie in seinem Büro und war sehr zuvorkommend. Als Malu ihm die Situation geschildert hatte, erklärte er: »Eine Firma aus Berlin schickt uns die Modelle. Wir verkaufen sie auf Kommission. Ein gutes Geschäft. Für beide Seiten.«
»Wie heißt die Firma?«
Der Geschäftsführer zuckte bedauernd mit den Schultern. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, gnädige Frau. Geschäftsgeheimnis, Sie verstehen?«
»Ich bin Malu. In Ihren Kleidern werden mein Name und mein Schriftzug verwendet. Und wenn Sie mir nicht sofort den Namen und Inhaber der Berliner Firma nennen, so werde ich noch heute Anzeige wegen Betruges bei der Polizei erstatten. Gegen Sie.«
Der Geschäftsführer schluckte. »Nun, so weit muss es ja nicht kommen. Schließlich habe auch ich einen Ruf zu verlieren.«
Er öffnete einen Büroschrank und holte einen Ordner heraus. »Zehlendorf Im-und Export Handelsgesellschaft«, las er vor.
Malu nickte. Sie hatte es gewusst. »Der Name des Firmeninhabers lautet Ruppert von Zehlendorf?«, fragte sie.
Der Geschäftsführer nickte. »Ja, so steht es hier geschrieben.«
Malu nahm ihre Handtasche und erhob sich vom Stuhl. »Danke! Sie haben mir sehr geholfen.«
»Ja, und was wird nun mit den Kleidern? Ich habe noch drei Dutzend hier im Laden hängen.«
Malu überlegte einen Augenblick, bevor sie sagte: »Trennen Sie einfach das Etikett heraus. Solange mein Name nicht mit diesen Fummeln in Verbindung gebracht wird, ist mir egal, was Sie damit tun.«
»Und die Polizei?«
Malu schüttelte den Kopf. »Trennen Sie die Etiketten heraus. Jetzt gleich. Ich verzichte einstweilen auf eine Anzeige. Wenn aber nur noch ein einziges Kleid mit meinem Namenszug auftaucht, sind Sie dran.«
»Sehr wohl, die Dame.« Der Geschäftsführer schluckte wieder. Er dienerte vor Malu und geleitete sie unter Bücklingen zur Tür. Malu sah, wie er sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn tupfte, als sie endlich draußen war. Sie ging zum Fluss zurück, blieb auf der Mitte der Brücke stehen und sah hinunter ins Wasser. Ruppert. Er hatte sie betrogen. Erneut. Die eigene Schwester.
Warum
Weitere Kostenlose Bücher