Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Unterarm, wenn er die Gäste mit seinen Theorien zur besseren Bestellung der Landwirtschaft langweilte. Sie war es gewesen, die nach ihrer Heirat vor sieben Jahren wertvolles Porzellan angeschafft hatte, die Kristallgläser aus Italien und Champagner und Foie gras aus Frankreich kommen ließ. Und sie war es auch gewesen, die ihm eine Zigarettenspitze aufgenötigt und einen Humidor für seine Zigarren angeschafft hatte. Seit sie dem Haushalt vorstand, gab es die merkwürdigsten Gerichte mit den seltsamsten Zutaten und mit unaussprechlichen französischen Namen. Fingerschälchen, Messerbänkchen und Damastservietten kannte Wolfgang selbstverständlich aus seiner Kindheit, aber Schneckenzangen und silberne Olivenstäbchen hatte es zuvor auf Gut Zehlendorf nicht gegeben.
Alles in allem bewunderte Wolfgang seine Gattin für ihren gesellschaftlichen Schliff und ihre untrügliche Sicherheit in allen Dingen des Lebens. Nur manchmal kam ihm der Gedanke, dass auch Cäcilie nicht mit jedem Problem so leicht fertig wurde, wie es den Anschein hatte. Insbesondere dann, wenn die kleine Marie-Luise ihrer Mutter Fragen stellte, die mit »Warum« oder »Woher« begannen. Woher weiß die Sonne, dass es Morgen ist und sie aufgehen muss? Warum muss ich abends und morgens die Zähne putzen, auch wenn ich in der Nacht gar nichts esse?
Cäcilie betrachtete ihre Tochter dann mit einem Blick, als würde sie das kleine Mädchen überhaupt nicht kennen und auch nicht wissen, wie das Kind vor ihre Füße gekommen war. Sie zog die Augenbrauen nach oben und antwortete mit ungewöhnlicher Schärfe: »Weil das nun einmal so ist und auch du es nicht ändern wirst.«
Marie-Luise. Immer wenn Wolfgang von Zehlendorf an seine kleine vierjährige Tochter dachte, umspielte ein Lächeln seine Lippen. Ihr Haar war so fest und dick, als würde man in einen Handfeger fassen, während Rupperts Haar eher fein und seidig an seinem Kopf lag und nur mit Mühe die Ohren verdeckte. Malu hatte weiße ebenmäßige Zähnchen, die sie beim Lachen zu gern zeigte, während Ruppert die langen Zähne – ein Erbe der Familie seiner Mutter – meist hinter der vorgehaltenen Hand versteckte. Malus Augen wirkten mal grau, mal grün und mal braun, doch stets waren sie groß, rund und wissbegierig, während Rupperts blaue Augen eng beieinanderstanden und seine Blicke flink wie Frettchen hin und her huschten.
Malu, das Sonnenkind. Malu, die so viel von ihm hatte. Sie war mehr Land- als Adelskind und mit ihrer unbekümmerten Fröhlichkeit schon jetzt eine Herzensdiebin. Vielleicht, dachte Wolfgang, hatte er Malu stärker ins Herz geschlossen, weil Cäcilie immer etwas an dem Kind auszusetzen hatte. Stets war ein Fleck auf Malus Kleid oder ein Halm im Haar, und oft verlor sie ihre Schuhe, weil sie lieber das Gras unter ihren kleinen Fußsohlen spüren wollte, als eingezwängt in den engen Schuhen zu laufen. Malu liebte Tiere, näherte sich ohne Furcht oder Abscheu den Rindern und Schweinen, jagte die Hühner über den Hof oder trieb die Gänse mit ausgebreiteten Armen vor sich her. Bei Tisch zappelte sie herum und sprach schon mal mit vollem Mund, weil sie zu aufgeregt war, um erst hinunterzuschlucken. Sie biss herzhaft in einen Pfirsich, statt ihn sich von der Kinderfrau mit Messer und Gabel in Stücke schneiden zu lassen. Sie trank Wasser aus dem nahen Bach, aß Beeren ungewaschen direkt vom Strauch und schlief jede Nacht so tief und fest wie ein Bärenjunges.
»Malu.« Wolfgang flüsterte den Namen der Kleinen zärtlich vor sich hin. Mit ihr würde er keine Sorgen haben. Sie würde ihren Weg gehen. Schon jetzt galt ihre ganze Liebe den einfachen Dingen. Sie würde einen Gutsherrn heiraten und mit Freude ihr Haus führen. Sie würde Anteil nehmen am Gedeih und Verderb der Güter, würde zupacken, wenn es darauf ankam, und stets das tun, was gerade nötig war.
Die Kutsche durchquerte das große schmiedeeiserne Tor mit dem Wappen derer von Zehlendorf. Knirschend rollte sie über die kiesbestreute Auffahrt, umrundete das Rondell vor der Freitreppe und kam schließlich mit einem Ruck zum Stehen.
Wolfgang von Zehlendorf warf die Decke von sich, als der Kutscher den Schlag aufriss, und stieg aus.
Er blickte an der Fassade des Hauses empor. »Was ist hier los?«, fragte er. »Es sind beinahe alle Zimmer erleuchtet. Gibt meine Gemahlin heute Abend eine Gesellschaft?«
Der Kutscher schüttelte den Kopf. »Ich weiß von nix, jnädiger Herr. Is’ auch nich meine Sache. Soll ich in
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