Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
mein Recht, verstehst du?«
Selbst im Mondlicht sah Malu, wie auf Rupperts Stirn eine Ader anschwoll.
»Allein uns Zehlendorfs hast du es zu verdanken, dass ein Pfarrerstrampel wie du auf einem Ball tanzen darf«, fuhr er fort. »Glaubst du nicht, du solltest mir dafür ein wenig dankbar sein?« Er zog Constanze zu sich heran, um sie wieder zu küssen.
Malu spürte, wie sich in Johanns Körper alle Muskeln anspannten. Er wollte aus dem Gesträuch herausspringen und Ruppert direkt an die Kehle. Aber Malu umklammerte sein Handgelenk. »Noch nicht«, flüsterte sie. »Er wird ihr nichts tun; Ruppert ist feige. Constanze kann sich selbst helfen. Wenn du dazwischengehst, machst du dir einen Feind fürs Leben.«
Schon stieß Constanze erneut Ruppert von sich. Ihr Gesicht war hochrot vor Wut. »Nichts habe ich dir zu verdanken! Malu hat mich zu diesem Ball eingeladen. Ich gehöre dir auch nicht.« Sie sah Ruppert hasserfüllt an. »Lass mich in Ruhe! Ich sage es nicht noch einmal!«
Ruppert sah sie verwundert an. Dann griff er sich ans Herz und verzog den Mund.
Constanze zog die Augenbrauen ein Stück in die Höhe. »Was soll das jetzt?«
Ruppert stöhnte, krümmte sich zusammen und presste hervor: »Es ist nichts. Du hast recht. Geh nur zurück zu den anderen.« Wieder ächzte er zum Gotterbarmen. Dann sah er Constanze mit weit aufgerissenen Augen an, stieß einen Schrei aus und sank zu Boden, wo er mit verdrehten Gliedern und geschlossenen Augen liegen blieb.
Constanze stieß einen leisen Schrei aus und presste eine Hand vor den Mund. Dann ging sie neben Ruppert auf die Knie. »Was hast du?«, rief sie voller Angst. »Ruppert, so sag mir doch, was du hast!« Aber Ruppert rührte sich nicht, gab keinen Laut von sich. Gehetzt sah Constanze sich um. »Hilfe!«, rief sie zuerst leise, dann lauter. »Hilfe! Ist denn hier niemand?«
»Dieses Schwein«, flüsterte Johann, riss sich aus Malus Griff los und stürzte zu seiner Schwester, die sich gerade anschickte, ihren Kopf auf Rupperts Brust zu legen, um den Herzschlag zu testen.
»Geh weg von ihm!« Johanns Stimme klang wild und rau.
Er sah sich um. Als er den kleinen Brunnen hinter sich erblickte, packte er Ruppert bei den Armen und zerrte ihn zu dem Brunnen. Er hievte ihn hoch und stieß ihn roh ins Wasser.
Malu trat aus dem Gebüsch und streichelte Constanzes Schulter. »Das hast du nicht verdient, Constanze, dass dich Ruppert so behandelt.«
»Jaja«, erwiderte die Freundin, aber Malu hatte den Eindruck, dass sie ihr gar nicht richtig zuhörte. »Was macht ihr da?«, jammerte Constanze. »Was machst du mit ihm, Johann? Er ist krank, er ist bewusstlos. Wir brauchen einen Arzt.«
»Nein, ich glaube nicht, dass hier ein Arzt helfen kann«, entgegnete Malu. »Johann weiß, was er tut. Ein bisschen Abkühlung bewirkt bei Ruppert manchmal Wunder.«
In diesem Augenblick tauchte der junge Zehlendorf mit klatschnassen Haaren am Brunnenrand auf. Er warf Johann einen so hasserfüllten Blick zu, dass es Malu kalt den Rücken herunterlief.
»Das wirst du mir büßen, Mohrmann. Das schwöre ich bei Gott!« Festen Schrittes stampfte Ruppert davon.
Zweiter Teil
Achtes Kapitel
Baltikum, 1914
D ie dramatischen politischen Geschehnisse im Sommer des Jahres 1914 hatten zur Folge, dass sich das Schicksal von vielen Millionen Menschen in Europa veränderte. Auch das Leben von Malu und ihrer Familie, von Johann und Constanze sollte einen tiefgreifenden Wandel erfahren – so einschneidend, wie sie es sich noch im Frühjahr dieses Jahres niemals hätten vorstellen können.
Constanze hatte sich mittlerweile als Gouvernante auf einem der Nachbargüter verdingt. Sie war noch immer hübsch und klug, doch hier, in Lettland, wollte sich offensichtlich kein Mann für sie finden. Und ihre Chancen wurden von Jahr zu Jahr geringer.
Zumindest sagte sie das, sooft sie danach gefragt wurde. Doch Malu glaubte, dass es einen anderen Grund gab, weshalb sie immer noch ledig war. Viel zu oft hatte sie gesehen, wie sich Constanze am Abend in das Herrenhaus schlich, in Rupperts Zimmer verschwand und Stunden später mit den Schuhen in der Hand wieder zurück zum Pfarrhaus huschte.
Einmal hatte Malu versucht, mit ihrer Freundin darüber zu sprechen. »Du meinst wirklich, Ruppert wird dich eines Tages heiraten?«, fragte sie.
Constanze zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Was spricht dagegen? Seit dem Abschlussball sind wir ein Paar. Zwar nur ein heimliches, wegen eurer Mutter, aber wir sind
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