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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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stahl sich durch den Küchengarten nach hinten hinaus zum angrenzenden Gut. Wenn sie das Gartentörchen öffnete, spürte sie, wie ihr Herz rascher zu schlagen begann. Manchmal, wenn Johann noch nicht von seiner Arbeit zurückgekehrt war, kochte sie etwas für ihn. An anderen Abenden wartete er auf der kleinen weißen Bank, und Malu rannte die letzten Meter und stürzte sich direkt in seine Arme.
    »Ich fühle mich, als wäre ich deine Frau«, gestand sie ihm einmal. »Als wären wir seit dem Abschlussball verheiratet. Seit dieser Nacht weiß ich, dass wir zusammengehören.«
    »Dann heirate mich!« Johann sah sie drängend an. »Worauf wartest du? Ich habe ein Dach über dem Kopf und genügend Brot auf dem Tisch. Wir könnten dir eine kleine Kammer als Nähstube einrichten. Die Leute aus dem Dorf würden sich sicher alle Kleider bei dir bestellen.«
    Malu strich ihm sanft über die Wange. »Ich weiß, Johann. Aber ich kann nicht.« Vor ihrem inneren Auge tauchten Bilder von ihrem möglichen Leben hier mit Johann auf. Sie sah sich selbst in der Nähstube hocken und Landfrauenkleider aus blauem Tuch nähen. Aber das hatte sie nie gewollt. »Ich möchte Kleider entwerfen, Johann. Verstehst du? Richtige Kleider. Abendroben. Ballkleider. Kleider für den Nachmittagstee. Das kann ich hier nicht. Das kann ich nur in einer großen Stadt. Ich muss weg von hier, Johann. Weg von Zehlendorf.«
    »Aber warum nur?« Johann breitete die Arme aus und schüttelte verständnislos den Kopf.
    Malu seufzte. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Hier, auf dem Gut, da bin ich nichts. Ein ungewollter Niemand, eine Kalamität. Ich muss weg von hier, damit ich vielleicht erfahre, dass ich mehr kann als Unglück anzurichten. Würde ich bleiben, so wäre ich für immer das unzulängliche Ding.«
    »Aber du bist nicht unzulänglich! Du bist die beste Frau, die man sich denken kann. Du bist hübsch, du bist klug. Was willst du noch?«
    Malu sah den Schmerz in Johanns Augen, und es zerriss ihr dabei beinahe das Herz. Trotzdem schüttelte sie den Kopf. »Es reicht nicht aus, Johann, wenn du mir sagst, wie ich bin. Ich muss es selbst fühlen.« Sie legte eine Hand auf ihr Herz. »Hier drinnen muss ich wissen, dass ich mehr bin, dass ich nicht schlecht bin, dass ich es verdient habe, von dir geliebt zu werden. Dann erst kann ich wiederkommen, dich heiraten und Kinder mit dir bekommen.«
    Malu glaubte fest daran, ihre Pläne in die Tat umsetzen zu können, weil sie damit rechnete, bald eine größere Geldsumme zu erhalten. Zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag würde ihr ein Treuhandfonds ausgezahlt, den ihre Großtante Camilla gleich nach ihrer Geburt für sie angelegt hatte.
    Eigentlich wäre das Geld schon zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag fällig gewesen, doch Cäcilie von Zehlendorf hatte damals bei ihrem Mann einen Fälligkeitsaufschub durchgesetzt. Das war nicht schwer gewesen. Sie hatte ihm nur die Frage stellen müssen, ob es rechtens sei, die Mörderin von Camilla von Zehlendorf mit deren Geld zu unterstützen.
    Bei diesen Worten hatte Wolfgang von Zehlendorf mit dem Kopf geschüttelt. »Ich dachte«, sagte er seiner Frau, »du kannst es kaum abwarten, Malu aus dem Haus zu bekommen.«
    Cäcilie verzog den Mund. »Und du meinst, sie macht ihr Glück als Schneiderin? Niemals. Sie wird wiederkommen. Und dann wird es noch schwerer sein, einen Mann für sie zu finden.«
    Kurz darauf hatte Wolfgang mit seiner Tochter ein ernstes Gespräch über dieses Thema geführt. »Warte noch ein paar Jahre«, hatte er Malu beschworen. »Dir fehlt es doch hier an nichts. Du musst dich um nichts sorgen. Nähen kannst du auch hier.«
    Malu wusste genau, warum ihr Vater die Auszahlung noch eine ganze Weile hinausschieben wollte. Er hoffte darauf, dass sie sich in der Zwischenzeit verheiraten würde oder sich eine Beschäftigung für sie fand, die sie ausfüllte. Womöglich hätte er sogar ein uneheliches Enkelkind in Kauf genommen.
    Malu hatte sich dreinschicken müssen, hatte lediglich eine neue Nähmaschine, Geld für Stoffe und das Abonnement einer französischen Modezeitung herausschlagen können. Doch die Kleider, die sie entwarf und nähte, trug niemand hier im Baltikum.
    Und so saß sie jeden Tag an der Nähmaschine und arbeitete, ohne im Grunde zu wissen, wofür. Unterdessen versuchten die Eltern tapfer weiter, sie doch noch unter die Haube zu bringen. Hin und wieder wurden ihr Herren vorgestellt. Ein Kaufmann aus Mitau. Ein Arzt aus

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