Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
sie nicht besonders, dass Menschen, vielleicht sogar ihr eigener Mann, zu Tode kommen würden. Sie störten nur der Lärm der Mobilmachung, die Unordnung im Haushalt und das seltsame Verhalten ihres Ehemannes, der Vorsorge traf, falls er nicht wiederkommen sollte.
»Hör, Zilchen, Ruppert wird das Gut erben, aber sorge du dafür, dass er einen guten Verwalter hat. Am besten wäre es, Schwarzrock zu behalten. Er wird sicher nicht eingezogen werden, denn seine Augen sind zu schlecht. Auch Markus Schneider als Förster ist ein Gewinn für das Gut. Vielleicht gelingt es ihm, der Einberufung zu entgehen. Immerhin ist er der Sohn einer Polin und eines Deutschen. Lass nicht zu, dass Ruppert alle entlässt. Ein Gutsherr muss Geduld haben.«
Cäcilie lag auf der Récamiere, hielt die Augen geschlossen und eine Hand auf die Stirn gepresst, als wäre sie von Schmerzen geplagt. »Kannst du das nicht mit jemand anderem besprechen?«, fragte sie matt und hoffte im Stillen, dass der Stellungsbefehl jetzt gleich einträfe.
Zwei Tage später kam er, und noch einmal zwei Tage später nahm Wolfgang von Zehlendorf Abschied.
Er küsste seine Frau, suchte in ihren Augen vergeblich nach einem Zeichen der Wehmut, doch er fand nichts.
»Ich werde vielleicht nicht zurückkommen«, sagte er deshalb, obwohl er nicht daran glaubte. Aber er wollte so gern Bedauern oder Sorge um ihn im Gesicht seiner Frau entdecken. »Immerhin ist Krieg.«
»Dir wird schon nichts passieren«, erwiderte Cäcilie von Zehlendorf, umarmte ihn kurz und küsste ihn auf die Wange. Sie wartete nicht, bis die Kutsche anfuhr, sondern stieg sogleich die Freitreppe empor und verschwand im Haus.
Wolfgang von Zehlendorf sah ihr nach. »Cäcilie, ich versuche so sehr, dir ein guter Ehemann zu sein«, flüsterte er. »Verzeih mir, dass ich dich nicht glücklich machen kann.«
Neuntes Kapitel
Baltikum, 1917
D as Jahr 1914 war ein Jahr des Glaubens an den raschen Sieg gewesen.
Das Jahr 1915 war das Jahr der Stellungskriege gewesen.
Im Jahr 1916 hatte der Mangel begonnen.
Im Jahr 1917 schied Russland aus der Allianz gegen Deutschland aus. Zar Nikolaus II. dankte zu Gunsten seines Bruders Michail ab. Die russische Duma errichtete eine bürgerliche Regierung, und Zar Michail verzichtete auf den Thron. Die über dreihundertjährige Herrschaft der Romanows über das riesige russische Reich war beendet, der Ex-Zar und seine Familie wurden inhaftiert.
Die Ernährungslage wurde immer katastrophaler. Überall lagen die Felder brach, weil die Männer in den Krieg gezogen waren. Auf manchen Äckern sah man Frauen, die sich selbst vor den Pflug gespannt hatten, um wenigstens ein bisschen Nahrung für ihre Kinder zu gewinnen. Pferde wurden beschlagnahmt, Rinder aus den Ställen geholt. Die Verbindungen zwischen den Städten waren unterbrochen, einzig Militärzüge fuhren noch. Dann fiel Riga in die Hand der deutschen Truppen. Es hieß, die russische Armee habe bei ihrem Abzug geplündert und gebrandschatzt. Auch von Vergewaltigungen war die Rede. Und jetzt trafen Züge voller russischer Soldaten in Mitau ein.
Malu war entsetzt, als sie die ersten von ihnen sah. Abgerissen waren sie, verwahrlost und roh. Sie zogen grölend durch die Straßen, sodass die Mütter ihre Töchter heimholten. Hinter den Russen kamen die Flüchtlinge aus dem Süden. Und im Sommer 1917 gab es in Mitau kein freies Zimmer, keinen leeren Stall, keine unbewohnte Scheune mehr.
In Mitau bestimmten Männer in deutscher Uniform das Straßenbild. Sie überdeckten sogar die heimgekehrten Soldaten, die an den Ecken lungerten und mit vorgestrecktem Holzbein bettelten. Im Baltikum jagte eine Hochzeit die andere. Zahlreiche Deutschbaltinnen heirateten deutsche Offiziere. Die Rigasche Hausfrauenzeitung musste zwei Bögen mehr drucken, um all die Anzeigen aufnehmen zu können.
Malu las die Zeitung und schüttelte den Kopf. »Wie kann man nur im Krieg heiraten?«, fragte sie Constanze.
Constanze zuckte mit den Schultern. »Es geht wohl nicht so sehr um Liebe, sondern darum, dass etwas bleibt von einem, wenn man selbst tot im Schützengraben liegt.«
»Was soll schon bleiben? Ein schmaler Ring an der Hand, ein paar Erinnerungen.«
»Ist das nicht genug? Für einige ist es mehr, als sie in Friedenszeiten je hatten.« Constanzes Augen füllten sich mit Tränen. »Weißt du, es gibt einige Mädchen hier, Mädchen wie ich, die tun sich schwer damit, einen Ehemann zu finden. Aber plötzlich sind sie begehrt. Sie wissen
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