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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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selbst, dass sie nicht schöner geworden sind über Nacht oder reicher. Und doch ist da jemand, der sie bemerkt, der ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Sei es auch nur für eine kurze Zeit.«
    »Hast du deshalb Nikolai geheiratet?«, wollte Malu wissen.
    Constanze wiegte den Kopf. »Ja, auch deshalb.« Sie hielt Malus erstauntem Blick stand. »Nicht jede ist so stark und mutig wie du.«
    Malu schüttelte den Kopf, doch sie erwiderte nichts. Nein, sie war weder stark noch mutig. Sie wusste einfach nur, dass sie nicht liebenswert war. Wie konnte man liebenswert sein, wenn die eigene Mutter einen verstieß? Nur Janis verstand sie. Malu glaubte fest daran, dass es einen Menschen gab, der voll und ganz dem eigenen Wesen entsprach. Für sie war das Janis. Constanze hatte einfach nicht lange genug nach diesem Menschen gesucht.
    Im Jahr 1918 begann der Anfang vom Ende. Deutsche Truppen rückten in Estland ein, der estnische Landtag rief die Unabhängigkeit aus, aber die deutsche Ordnungsmacht hatte eigene Pläne, nämlich die Schaffung eines Vereinigten Baltischen Herzogtums. Jeden Tag riefen die Zeitungsjungen neue Nachrichten aus, die denen vom Vortag gänzlich widersprachen. Niemand wusste mehr, wer gerade an der Regierung war oder wer es morgen sein würde. Die baltischen Güter lagen verwaist. Jeder, der konnte, hatte seine Familie in die größeren Städte gebracht, denn nur dort waren sie geschützt. Koffer, Kisten und Kästen wurden beladen und in Zweispännern zum nächsten Bahnhof gebracht. Keiner wusste, wie viele von diesen Gütern tatsächlich an ihren Bestimmungsorten ankamen, denn oftmals weigerten sich die Soldaten, das »Zeug der Barone« mitzunehmen. Und so landete so manche Silbergabel in der Schublade einer Magd, so manche Vorlegeplatte in einem lettischen Bauernhaushalt.
    Auch Janis’ Gut blieb zumeist verwaist, weil seine Schwester werktags gemeinsam mit Malu in einem Hospital in Mitau arbeitete. Gleich als die ersten Verletzten von den Schlachtfeldern in die Krankenhäuser eingeliefert wurden, hatten sich die beiden als freiwillige Helferinnen gemeldet. Die meisten jungen Frauen aus der Gegend taten es ihnen gleich.
    Und so fuhren Constanze und Malu an jedem Samstagmorgen mit ihren Fahrrädern die gut zwanzig Werst von Mitau nach Zehlendorf und an jedem Sonntagabend dieselbe Strecke wieder zurück. Meist radelten sie stumm nebeneinander, denn eine große Müdigkeit steckte ihnen in den Gliedern. Die Erschöpfung schien niemals mehr aufzuhören oder weniger zu werden. Daher traten sie wie Automaten in die Pedale, blind für die Landschaft, mit tränenden Augen und leer gefegten Köpfen.
    »Ich weiß nicht«, erklärte Malu eines Sonntagabends, »warum ich mir das antue. Warum fahre ich jedes Wochenende nach Hause? Mutter will mich nicht sehen. Nur manchmal, wenn sie jemanden braucht, um zu jammern und zu klagen, bin ich gut für sie. Und immer enden diese Reden damit, dass ich an allem schuld bin. Sogar am Krieg, stell dir das mal vor, Constanze! Würde ich in Mitau bleiben, hätte ich zwar weniger Ruhe, aber niemand machte mich für irgendetwas verantwortlich, das ich nicht zu verantworten habe.«
    Constanze seufzte. »Nikolai ist tot, ich weiß es. Er hat so lange nicht geschrieben. Er ist tot. Und von Janis höre ich nur über dich. Du fährst am Wochenende nicht nach Hause, um mit deiner Mutter zusammen zu sein, sondern weil du mir hilfst, Männertreu in Schuss zu halten. Vielleicht solltest du in Zukunft auch bei uns übernachten. Meine Mutter würde sich freuen, das weißt du.«
    »Ja«, erwiderte Malu. »Vielleicht hast du recht.«
    Als sie in die Stadt hineinfuhren, mussten sie einem Fuhrwerk ausweichen, das Verletzte geladen hatte. Auf die Plane hatte jemand mit weißer und roter Farbe das Rotkreuzzeichen gemalt. Auf der Ladefläche lagen die Verwundeten wirr durcheinander, teilweise sogar übereinander. Köpfe schauten zwischen Stiefelspitzen hervor, Hände zerrten an blutigen Verbänden. Die Fahrgäste stöhnten, wimmerten, röchelten, keuchten und weinten zum Gotterbarmen.
    Vorsichtig überholte Malu das Fuhrwerk. »Wir müssen uns beeilen!«, rief sie über die Schulter zurück. »Wir müssen früher im Lazarett sein als das Fuhrwerk; wir werden gebraucht.«
    Sie trat heftig in die Pedale, und die Freundin folgte ihr, so schnell sie konnte. Als die beiden das Lazarett erreichten, warf Malu das Fahrrad beinahe gegen die Wand und riss sich anschließend schon im Laufen ihre Kleidung auf. Drinnen

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