Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
reichte, dass er sie wollte, denn das war mehr, als Ruppert ihr je geboten hatte.
Am 28. Juni 1914, wenige Stunden nach dem Tod des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares, ließ sie sich einen einfachen Goldring an den Finger stecken und lächelte höflich in eine Fotokamera.
Die kirchliche Hochzeit war eigentlich für den September geplant gewesen, doch einen Monat nach der standesamtlichen Trauung wurde Nikolai in die Armee eingezogen. Einen Tag später verlor Constanze ihre Anstellung, denn der Gutsherr musste ebenfalls zur russischen Armee, und seine Frau und die Kinder begaben sich auf das Gut der Schwester in Mecklenburg-Vorpommern. Constanze kehrte allein nach Hause zurück.
Auch Janis würde bald zur Armee gehen müssen. Als Malu eines Abends zu ihm kam, nahm er sie in die Arme und wollte sie trösten. »Du musst nicht traurig sein, ich komme wieder.«
Malu lächelte. »Ich weiß, Janis.«
Er lachte. »Woher?«
Sie zuckte mit den Schultern und erwiderte, als wäre es das Normalste von der Welt: »Weil ich dich brauche. Gott hat uns füreinander gemacht. Wir sind zwei Hälften eines Ganzen. Es ist nur selten vorgekommen, dass ein Ganzes seine Hälfte verliert.«
»Aber du wolltest weggehen. Weit weg. Nach Paris, nach Berlin. Du wolltest dich erst selbst lieben lernen.«
Malu nickte. »Der Krieg ändert alles.«
»Der Krieg wird nicht lange dauern. Jeder sagt das. Zu Weihnachten sind wir alle wieder da.«
Auch Ruppert wurde eingezogen. Er war der Einzige, der darüber glücklich war. Niemand hatte den Krieg gewollt. Wieso auch? Die Menschen im Baltikum wollten leben, wollten ihren Kindern beim Aufwachsen zusehen, wollten in Ruhe alt werden. Einen Krieg brauchten sie nicht. Warum sollten sie für Russland kämpfen? Warum für irgendein anderes Land? Was hatten sie, die Bauern, die Knechte und Mägde, die Gutsherren und Verwalter, mit dem Erzherzog Franz Ferdinand zu tun? Niemand von ihnen verspürte das Bedürfnis, ihn zu rächen. Warum auch? Sie kannten ihn doch gar nicht.
Nur Ruppert war gespannt. Ihm stand das größte Abenteuer seines Lebens bevor, und er dachte, sich im Kampf mehr als ruhmreich zu schlagen. Weil er ein Adliger war, wurde er auf der Stelle Offizier. Niemanden störte es, dass er vom Kriegshandwerk keine Ahnung hatte. Sechs Millionen Russen wurden mobilgemacht. Und die Russen, das wusste Ruppert, seit er denken konnte, mussten befehligt werden. So schwer war das nicht, dachte er, so schwer konnte das auch im Krieg nicht sein, und wenn es doch einmal zu Verlusten kommen sollte – gut, dann mussten eben neue Russen herbeigeschafft werden. Er stolzierte in seiner Offiziersuniform zwischen den Hühnern und Gänsen auf dem Wirtschaftshof umher, übte das Schießen auf leere Flaschen und lachte, wenn sich die Mägde darüber zu Tode erschreckten. »In Uniform«, verkündete er und sah dabei seinen Vater verächtlich an, »in Uniform kann ein Mann mit Achtung vor sich selbst herumlaufen. Egal, wo er eingesetzt wird, er begibt sich in Gefahr für Volk und Vaterland.«
Wolfgang von Zehlendorfs Dienste wurden im Baltenregiment gebraucht. Er war Offizier der Reserve und hatte die Aufgabe, junge Rekruten auszubilden. Wenn er gewollt hätte, so wäre es ihm wahrscheinlich gelungen, der Einberufung zu entgehen, doch Wolfgang war seiner Frau und ihren Ansprüchen allmählich müde geworden. Er sehnte sich regelrecht nach dem Armeeleben, in dem jedes Detail geregelt, die Anweisungen klar und ohne versteckte Botschaften waren. Und er sehnte sich überdies danach, einmal für eine kurze Zeit die Verantwortung für alles abzugeben. Er hatte so schwer geschuftet in den letzten Jahren, aber niemand hatte seine Anstrengungen gewürdigt. Der Krieg, da war sich der Freiherr sicher, würde sowieso nur wenige Monate dauern. Und in diesen wenigen Monaten wollte er einfach einmal Urlaub von seinem Leben haben.
Auch Janis kam zum Baltenregiment, für das er sich als Lette freiwillig gemeldet hatte, denn nur so konnte er den Stellungsbefehl für die russische Armee umgehen. Ihm kam es gerade recht, dass Constanze ihre Anstellung verloren hatte. Sie war ein Mädchen vom Land, sie konnte arbeiten und zupacken. Während seiner Abwesenheit würde sie das kleine Gut leiten, das Janis inzwischen auf den Namen Männertreu getauft hatte.
Cäcilie von Zehlendorf lief die ganze Zeit mit einem Gesicht herum, das aussagte, man habe den Thronfolger nur erschossen, um ihr Unannehmlichkeiten zu bereiten. Es störte
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