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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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arbeite, dachte sie, damit du leben kannst, damit du auf dem Wannsee mit dem Dampfer fahren, ins Theater und in die Revue gehen kannst. Aber sie schwieg, denn sie wusste, dass sie selbst es gewesen war, die Constanze zu diesem Leben überredet hatte.
    »Ich bin so müde«, hörte sie Constanze hinter sich sagen.
    Malu drehte sich um. Constanze stand am Fenster und sah hinaus.
    »Du bist müde?«, wiederholte sie.
    »Ja!« Constanze wandte sich um.
    Malu sah die dunklen Ringe unter ihren Augen, sah auch das leichte Zittern von Constanzes Händen.
    »Jede Nacht bin ich woanders«, klagte Constanze. »Jede Nacht tanze ich, als gäbe es kein Morgen. Und wenn ich nicht tanze, dann sitze ich im Theater oder im Casino. Und am Wochenende muss ich ins Grüne fahren, mich an Picknicks beteiligen, Tennis spielen.«
    »Du Ärmste!« Malu konnte ihren Ärger nicht unterdrücken. »Während du tanzt, sitze ich hier und nähe. Während du dich durch wundervolle Abendessen schlemmst, kaue ich altes Brot und nähe weiter. Und während du am Samstag mit dem Automobil ins Grüne fährst, stecke ich Nähte ab und säume Kragen.«
    Constanzes Gesicht verzog sich säuerlich. »Du hältst mich für undankbar, nicht wahr?«
    Malu schwieg.
    »Ich verstehe das sogar. Aber manchmal ist das, was ich tue, nicht weniger anstrengend als deine Arbeit. Die anderen, mit denen ich zusammen bin, gehen nach Hause und schlafen bis in den Nachmittag hinein. Ich aber sitze hier wie eine Gefangene, lausche dem Rattern deiner Maschine, probiere Kleider an und bestickte Borten.« Sie trat einen Schritt auf Malu zu. »Ich bin nicht weniger fleißig als du. Und mindestens ebenso erschöpft.« Sie strich über ihr Kleid, nahm eine lange Kette vom Hals und warf sie achtlos auf die Waschkommode. »Es sieht aus, als hätte ich jede Menge Spaß bei dem, was ich tue. Und ich habe auch Spaß dabei. Aber nicht immer. Alles, was ich will, ist ein Ehemann. Aber es scheint, als wären die Zeiten dafür schlecht. Alle wollen sich nur amüsieren. Ich habe den Eindruck, die Männer müssen die Kriegsjahre nachholen, alles an Vergnügungen mitnehmen, was sich ihnen bietet. Und die Frauen sind nicht viel besser.« Sie wurde leiser und nahm die Hände ihrer Freundin. »Ich bin nicht undankbar, Malu«, flüsterte sie. »Ich bin einfach nur müde.«
    Malu nickte. Sie verstand Constanze, wenigstens ein bisschen. Aber sie begriff nicht, dass das, was sie für Spaß hielt, Constanze so erschöpfen konnte. Sie brauchte doch nur mal einen oder zwei Abende in der Woche nicht auszugehen, und schon hätte sie genügend Schlaf.
    Es war, als hätte Constanze ihre Gedanken gelesen, denn sie sagte: »Wenn ich auch nur einen Abend zu Hause bleibe, wird man nach mir sehen wollen. Aber ich kann niemanden hier empfangen, das weißt du genau. Ich spiele die Rolle der geheimnisvollen Marie-Luise von Zehlendorf, und ich spiele sie, so gut ich kann.« Sie schwieg einen Moment, trat wieder ans Fenster. »Vielleicht ist es Zeit, dass wir uns woanders eine Wohnung nehmen. Nichts Besonderes. Nur zwei Zimmer, damit jede von uns genügend Schlaf finden kann. Vielleicht in einer Gegend, die nicht so ärmlich ist wie diese hier. Eine Gegend, in der ich mich abholen lassen kann, ohne mich schämen zu müssen.«

Achtzehntes Kapitel
    Berlin, 1922
    I m Juni 1922 wurde der Reichsaußenminister Walter Rathenau in Berlin ermordet. Die Arbeitslosenzahl stieg stetig, und der Dollarkurs stand bei knapp viertausend Mark. Adolf Hitler, Vorsitzender der NSDAP, hatte durchgesetzt, dass die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreiches neben der schwarz-rot-goldenen der Weimarer Republik gehisst werden durfte. Immer öfter tauchten junge Männer in der braunen Uniform auf, stürmten die Kneipen der Sozialdemokraten und zettelten Schlägereien an. An manchen Abenden zogen die Hitlertreuen besoffen durch die Straßen und grölten ein Lied, von dem sie meinten, es sei ihnen auf den Leib geschrieben:
    »Deutschland, Deutschland über alles
    Und im Unglück nun erst recht.
    Nur im Unglück kann die Liebe
    Zeigen, ob sie stark und echt.
    Und so soll es weiterklingen
    Von Geschlechte zu Geschlecht
    Deutschland, Deutschland über alles
    Und im Unglück nun erst recht.«
    Malu schlug die Fenster zu, sobald dieses Lied erklang. Sie hasste die Männer in den braunen Uniformen. Sie interessierte sich nicht für Politik, aber die fehlenden Manieren der Braunhemden störten sie. Es gab für sie keinen Grund, jemanden zu verprügeln,

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