Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
an Malu weiter. »Ick will Se ja keen Ärjer machen, aber Vorschriften sind nu ma Vorschriften.«
Malu nickte, nahm das Schreiben und ging auf die Treppe zu.
»Halt!«, rief ihr der Hausdrachen nach. »Wenn ick Se schon dett Schreiben jebe, müssen Se es mir wenijstens quittieren. Der juten Ordnung halber.«
Malu seufzte leise, holte ihren Füllfederhalter aus der Handtasche und setzte eine Unterschrift auf ein Stück Papier, das nicht besonders formell aussah und in der Mitte einen Kaffeefleck hatte.
Dann warf sie der Frau einen weiteren hochnäsigen Blick zu und ging mühsam beherrscht die Treppe hinauf. Oben angekommen, warf sie die Tür ins Schloss, hängte ihren Mantel mit zitternden Fingern auf einen Bügel und setzte sich mit dem Brief in der Hand auf einen Küchenstuhl. Gerade noch hatte sie so dringend wissen wollen, was in dem Einschreiben stand, doch jetzt hatte sie die Angst gepackt. Schlechte Nachrichten waren das Letzte, was sie brauchen konnte.
Sie seufzte erneut. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, öffnete den Umschlag und faltete das Blatt auseinander. Nur ein paar Zeilen standen darauf:
Liebe Schwester,
Du wirst Dich sicher freuen zu hören, dass ich auch nach Berlin komme. Mutter ist in einem Stift in Riga, und das Gut überlasse ich während meiner Abwesenheit Schwarzrock. Stell den Champagner kalt, am Mittwoch treffe ich am Bahnhof ein.
Grüße, Dein Bruder Ruppert.
Neunzehntes Kapitel
Berlin, 1922
M alu stand auf dem Bahnsteig, neben ihr trippelte Constanze von einem Fuß auf den anderen. Die Freundin war so aufgeregt, dass sich ihre Wangen gerötet hatten und ihre Augen glänzten. Immer wieder fuhr sie sich mit der Hand über das Haar, und ständig rückte sie den grünen Glockenhut zurecht.
»Du freust dich ja«, stellte Malu fest.
Constanze errötete noch ein wenig mehr. »Warum sollte ich mich nicht freuen? Wir kennen uns seit Kindertagen. Es ist immer schön, alte Bekannte zu treffen.«
»Alte Bekannte«, wiederholte Malu und schüttelte den Kopf. »Hast du sein gebrochenes Heiratsversprechen vergessen und auch sonst alles, was er dir angetan hat?«
Constanze schob trotzig die Unterlippe nach vorn. »Ruppert ist, wie er ist. Wir hatten ausgemacht, Malu, darüber nicht zu sprechen. Isabel von Ruhlow und Lothar von Hohenhorst freuen sich jedenfalls auch auf Rupperts Ankunft.«
Malu nickte. »Dann möchte ich sehen, wie du Ruppert beibringst, dass du ab jetzt seine Schwester bist.«
Constanze errötete noch tiefer und biss sich auf die Unterlippe. Leise sagte sie: »Wahrscheinlich ist ihm das sogar recht so. Er wird den anderen Frauen schöne Augen machen, und ich kann dann nichts dagegen tun.«
Malu seufzte. »Liebst du ihn etwa noch immer? Nach allem, was er dir angetan hat?«
Constanze nickte, obwohl sie sich ihrer Antwort gar nicht sicher war. Liebte sie Ruppert wirklich? Oder brauchte sie einfach jemanden, der ihr sagte, was sie tun sollte? Ruppert hatte das immer getan. Und manchmal sogar fordernder, als sie es guthieß. Aber er war da gewesen, hatte sich um sie gekümmert. Waren seine Forderungen nicht eine Form von Fürsorge? Lothar von Hohenhorst legte in ihrer Gegenwart auch manchmal Beschützerinstinkte an den Tag, aber bei ihm wusste Constanze einfach, dass sie sie nicht allzu ernst nehmen durfte. Lothar mochte sie. Aber er liebte Männer. Und Ruppert? Wenigstens gab er ihr hin und wieder das Gefühl, begehrenswert zu sein. Und das war weit mehr, als sie von Lothar erhielt.
Malu strich ihr leicht über die Wange. »Er ist mein Bruder, und ich weiß, ich sollte nicht so über ihn reden. Aber er ist nun einmal ein Schwein. Er stellt den eigenen Vorteil über alles. Ich weiß nicht einmal, ob Ruppert überhaupt zur Liebe fähig ist. Du hast schon genug gelitten. Halt dich von ihm fern, Constanze. Er tut dir nicht gut.«
»Wie soll das gehen? Wir werden unter einem Dach wohnen.«
Malu schluckte. »Er ist mein Bruder. Ganz gleich, was er getan hat. Ich kann ihn nicht auf die Straße setzen. Ihr seid beide erwachsene Menschen. Reiß dich bitte ein bisschen zusammen, Constanze. Halt dich fern von ihm, so gut es eben geht.«
Malus Gesicht war voller Besorgnis. Constanze wusste, dass Malu nicht so mit ihr sprach, weil sie als Schwägerin womöglich nicht standesgemäß war. Malu dachte nicht in solchen Kategorien. Aus ihren Worten hatte nur die Besorgnis einer guten Freundin gesprochen.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann, Malu. Es gibt … gibt eine Form von
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