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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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nicht, Konfirmationsanzüge jedes Jahr weiter auszulassen.
    »Ick war ma Revuejirl«, offenbarte Frau Glubschke.
    Malu fiel die Kinnlade herunter. Die dicke Frau mit den gewaltigen Brüsten, den starken Schenkeln, die jeden Mittwoch und Freitag den halben Vormittag mit Lockenwicklern auf dem Kopf herumlief, sollte einmal Revuegirl gewesen sein?
    »Da brauchen Se jar nich so zu kieken, meine Liebe. Ick war zwar nich jrade der Star, aber ick hab eene Stimme, die dröhnt och ohne Mikrophon durch den janzen Saal.«
    Um das zu beweisen, erhob sich Frau Glubschke stöhnend vom Bett und stellte sich in Positur. Sie holte so tief Luft, dass ihr Busen wogte wie ein Zeppelin. Dann sang sie mit einer so gewaltigen Stimme, dass Malu vor Staunen die Augen aufriss.
    »Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht
    Wenn an der nächsten Ecke schon ein Andrer steht.
    Man sagt Auf Wiedersehen und denkt beim Glase Wein:
    Na schließlich wird der Andre auch ganz reizend sein.«
    Schwer schnaufend ließ sie sich wieder auf das Bett fallen. »Un?«, fragte sie schließlich keuchend. »Glooben Se mir nu?«
    Malu nickte beeindruckt. »Ihre Stimme ist wirklich gewaltig.«
    Bescheiden zuckte die Glubschke mit den Schultern. »Manchmal hab ick ooch nen Mann jespielt. Im Badekostüm, wissen Se, so jestreift bis unters Knie. Dann hab ick unsern Schonglör hochjehoben, dett war ja ma nur so’n Bürschken. Un der Saal hat jejröhlt. Ja, dett war’n noch Zeiten.«
    Frau Glubschke hatte einen träumerischen Gesichtsausdruck angenommen und starrte aus dem Fenster.
    Malu juckte es in den Fingern, sie wollte unbedingt weiternähen. Plötzlich stellte sie sich Frau Glubschke im Badekostüm vor. Das war die Idee! Die Mode sollte aufregend sein, ungewöhnlich, provozierend. Warum nicht mal einen Herrenstraßenanzug für Frauen? Natürlich aus weichem Stoff und statt mit einem Hemd mit einer Bluse darunter. Oder vielleicht doch ein Hemd mit einer Krawatte? Sie nahm ein Blatt Papier und begann zu kritzeln.
    »Ja, dett war’n noch Zeiten.« Versonnen sah Frau Glubschke zum Fenster hinaus. »Watt wollt ick? Ach ja. Ick wollte sachen, dett ick noch immer jute Kontakte zur Revue hab. Wissen Se, die, die damals anjefangen ham, die sin heute janz oben. Und Kostüme brauchen die immer. Soll ick ma frachen?«
    Malu nickte abwesend. »Das wäre wunderbar, Frau Glubschke.«
    »Jut, denn jehe ick heute Nachmittach ma rüber, die proben denne. Mal sehen, ob ick wat tun kann.« Sie nahm die leere Kaffeetasse von Malus Nähtisch und rauschte hinaus.
    Malu merkte es nicht einmal. Sie stand auf, blätterte in ihren Modezeitschriften, in der Eleganten Welt und in Styl , und sah sich die Entwürfe der französischen Kleidermacher an. Die Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Jede einzelne Seite blätterte sie durch, doch nirgendwo fand sie Damenkleidung, die der Männermode ähnelte. »Einen Anzug aus Seide«, murmelte sie vor sich hin. »Einen Anzug mit weiten Hosen, die aus der Ferne wirken wie ein Rock. Dazu eine kürzere Jacke. Hinten etwas länger, damit sie den Po bedeckt, so wie Frackschöße, und vorn kurz.«
    Schon nahm sie wieder den Bleistift in die Hand, und mit wenigen Strichen entstand auf dem Papier eine Zeichnung. Dann hielt sie inne. »Ein Matrosenanzug. So einen, wie ihn die kleinen Jungen tragen!«
    Wieder flitzte der Stift über das Papier. Es war, als hätte sich in Malus Kopf eine Schleuse geöffnet. Die Einfälle jagten einander. Eine Uniform. Ein Anzug im Stil einer Uniform – ja, das wäre es!
    Sie zeichnete zwei Stunden, bis sie von Constanze gestört wurde, die von einem Mittagessen nach Hause kam. Constanze riss die Tür auf, warf ihren Hut schwungvoll auf das Bett, die Handschuhe hinterher.
    »Puh!«, sagte sie. »Hier drinnen ist es wahnsinnig stickig. Willst du nicht einmal ausgehen?«
    »Ausgehen?«, murmelte Malu in Gedanken versunken.
    »Ja. Hinaus in die Welt. Eine Spazierfahrt durch den Tiergarten. Einen Ausflug in den Grunewald. Eine Bootstour auf dem Wannsee.«
    »Ich habe keine Zeit dafür«, entgegnete Malu und zeichnete weiter. »Ich brauche Knöpfe mit Ankern. Und Uniformknöpfe. Am besten echte. Und dazu Epauletten. Und Litzen. Und Kragenspiegel.«
    Constanze fuhr sich mit einer Hand über ihr glattes, glänzendes Haar und schüttelte den Kopf. »Du und deine Näherei. Du vergisst ganz darüber, dass du noch jung bist. Du arbeitest nur! Wann lebst du eigentlich?«
    Malu senkte den Kopf noch tiefer über das Blatt Papier. Ich

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