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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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aber sie konnte nicht aufhören, an ihn zu denken. Und dann war ein Schreiben von Ruppert gekommen, in dem er mit offensichtlicher Genugtuung berichtet hatte, dass Janis eine junge Lettin aus dem Dorf geheiratet hatte. Ein Schlag ins Gesicht hätte Malu nicht härter treffen können. Wie gerne hätte sie geweint, geschrien, getreten oder etwas zerstört, doch dazu fehlte ihr die Kraft. Also setzte Malu sich an ihre Nähmaschine und ließ sie rattern, bis ihr vor Erschöpfung die Augen brannten und der Rücken steif wurde.
    Constanze schien von Malus Kummer nichts zu merken. Sie tat, was sie tun sollte, ging jeden Abend auf eine andere Party, war Stammgast in den Varietés und Revuen der Stadt, kannte mittlerweile so unsagbar viele Leute, dass Malu über Constanze mehr verwundert war, als sie sagen konnte. Aus der schüchternen Pfarrerstochter war innerhalb eines knappen Jahres ein Vamp geworden. Constanze ging nie mehr ohne ihren Spazierstock aus dem Haus, trank Champagner wie andere Leute Wasser, trug Malus Kleider mit Anmut und kannte das Berliner Nachtleben bedeutend besser als das Leben bei Tag. Sie verließ am Abend das Haus, und meist wusste Malu nicht, wohin sie ging. Erst im Morgengrauen kam sie zurück, verschwitzt, nach Tabak und Alkohol riechend, die Schuhe in der Hand.
    Malus Kleider hatten an Constanze so viel Aufsehen erregt, dass für die nächste Woche eine Modenschau im privaten Kreis geplant war. Frau von Ruhlow hatte sie gebeten, bei ihr ihre Kleider vorzuführen. Als Mannequins würden – natürlich nur des Spaßes wegen – Frau von Ruhlow selbst und ihre engsten Freundinnen, darunter Constanze, auftreten.
    Daher saß Malu Tag und Nacht an der Nähmaschine.
    Auch jetzt arbeitete sie so konzentriert, dass sie das Klopfen an der Tür erst beim zweiten Mal hörte.
    »Herein!«
    Frau Glubschke, die Vermieterin, trat ein.
    »Wollen Se nich ma ein Tässchen Kaffee?«
    Malu streckte sich und bemerkte dabei, wie sehr ihr Rücken schmerzte. »Gern. Vielen Dank.«
    Frau Glubschke kam mit zwei Tassen herein, reichte Malu eine und ließ sich auf Constanzes Bett nieder. Seit einiger Zeit kam sie öfter auf einen kurzen Plausch, wenn Constanze nicht da war. »Jibett watt Neues?«, fragte sie.
    Malu schüttelte wie immer den Kopf.
    »Drüben, im zweiten Hinterhof, da ist die Kleene von Kellers jestorben«, berichtete Frau Glubschke mitleidig. »Lungenentzündung soll se jehabt ham, und die Mutter keen Jeld für’n Doktor. Nu isse hin.«
    »Das tut mir sehr leid«, erklärte Malu, obwohl sie die Kellers gar nicht kannte.
    »Un die Sieberten aus’m Vorderhaus soll uffn Strich jehen«, berichtete Frau Glubschke weiter. »Ihr Oller is ja nu och schon so lange arbeitslos. Watt soll se machen? Zwee Kinner hatt se. Die wollen essen. Det arme Mädel.« Frau Glubschke schüttelte den Kopf über die Zustände in der Welt. »Un der Olle, statt der froh is, dass seine Frau sich kümmert, der drischt se noch, wenn se früh nach Hause kommt. Wo soll dett allet noch hinführen?« Sie schüttelte den Kopf und nippte an ihrem Kaffee.
    Malu hörte zu und wusste nichts zu erwidern.
    »Ham Se jestern Radio jehört?«, fragte die Glubschke weiter, ohne auf eine Antwort zu warten.
    Malu schüttelte den Kopf. »Wir besitzen doch keinen Radioapparat.«
    »Aber icke. Ick hab so’n Ding anjedreht jekriegt. Von ehm, der die Miete nich zahlen konnte. Nu habe ick mir dran jewöhnt. Na, denn sache ick Ihnen dett nächste Ma Bescheid, wenn er wieder im Radio spricht. Dett müssen Se nämlich selbst jehört ham.«
    »Wer? Wer soll im Radio sprechen?« Malu wusste nicht, wen Frau Glubschke meinte.
    »Na, der Österreicher, der Anstreicher, der Hitler, Adolf. Allet soll besser werden, sacht er. Der Knebelvertrach von Versailles muss weg, und Arbeit muss sich lohnen, und ein jeder soll kriejen, watt er verdient.«
    »Aha.« Malu nickte und trank einen Schluck von ihrem Kaffee. Sie hatte noch nie von diesem Hitler gehört. Und sie interessierte sich auch nicht für Politik. Sie musste nähen. Bis zum nächsten Samstag, in fünf Tagen, noch genau vier Kleider. »Danke für den Kaffee«, sagte sie. »Ich habe noch viel zu tun.«
    Frau Glubschke verstand die Andeutung, aber sie erhob sich nicht. »Vielleicht kann ick Ihnen ja och zu neuen Aufträjen verhelfen.«
    Malu schüttelte leicht den Kopf, sprach aber kein Wort. Sie war keine Schneiderin für die armen Leute in Spandau. Sie entwarf Mode. Ihr Ziel war es, Frauen schöner zu machen, und

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