Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
mit der Hand auf den Tisch. »Dann werde ich wohl dafür sorgen müssen, dass er sich die Hörner gewaltig stößt.« Sie erhob sich und verschwand durch eine kleine Seitentür hinter der Bühne.
Die Kapelle machte eine Pause, und Lothar von Hohenhorst bestellte neuen Champagner. »Du trinkst ja gar nichts.« Er deutete auf Constanzes Glas.
»Der Schampus bleibt mir heute ein wenig in der Kehle stecken«, erklärte Constanze. »Wir sind heute Morgen in einen Demonstrationszug von Kriegsversehrten geraten. Ich kann den Anblick der mageren Kriegerwitwen, der Krüppel und der kränklichen Kinder nicht vergessen.«
»Ach!« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »In jedem Krieg gibt es nun einmal Verlierer. Statt zu betteln, sollten sie sich lieber um ihre Bagage kümmern. Dann müsste die auch nicht hungern.«
Unterdessen waren Isabel von Ruhlow ebenso wie Anita und Ruppert an den Tisch zurückgekehrt. Isabel warf Malus Bruder einen empörten Blick zu, rutschte mit ihrem Stuhl ein wenig nach hinten und wandte sich Constanze zu. »Ich weiß, was du meinst«, sagte sie. »Und wenn wir ehrlich sind, so sind auch wir schuld an ihrem Elend.«
Lothar stieß den Rauch seiner Zigarette aus. »Wir? Was haben wir denn damit zu tun? Die Schieber sind es, die die Armen ausbluten. Und die Inflation. Aber doch nicht wir.« Dann blickte er Malu an. »Was meinen Sie dazu, Fräulein? Immerhin gehören Sie ja auch zu denen, die arbeiten müssen.«
Malu blickte kurz zu Ruppert, der hämisch grinste, bevor sie erwiderte: »Ich arbeite gern, wissen Sie. Man kann sogar sagen, dass ich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht habe.«
»Als Malus Gesellschafterin?« Lothar von Hohenhorst zog die Augenbrauen in die Höhe.
»Nein«, entgegnete Malu ruhig. »Die Gesellschaft Fräulein von Zehlendorfs ist eine Freude für mich. Doch da sie mich nicht den ganzen Tag benötigt, entwerfe und nähe ich Kleider, wie Sie vielleicht wissen. Natürlich im Namen meiner Arbeitgeberin.«
Constanze lächelte. »Das weißt du doch, Lothar. Du selbst warst auf der Modenschau.«
Er nickte. »Ich erinnere mich.«
Isabel legte ihre Hand auf die von Malu. »Wir müssen bald einmal wieder eine Schau abhalten«, erklärte sie. »Die Frauen aus dem Tennisclub sind von meiner Garderobe überaus begeistert. Dazu kommt noch eines …« Isabel beugte sich zu Malu, um ihr etwas zuzuraunen. Doch dann hielt sie inne, weil sich in diesem Augenblick der Vorhang hob und zwei Ringkämpferinnen in gestreiften Badekostümen die Bühne betraten.
Die eine hatte die Arme angewinkelt und die Hände zu Fäusten geballt, während die andere ein wüstes Schnauben ausstieß und mit den Füßen über den Boden kratzte, als ob sie ein wilder Stier wäre, der mit den Hufen scharrte. Sie hatten sich ein wenig nach vorn gebeugt und beäugten Gegnerin und Publikum feindselig.
Der Conferencier, ein dürres Männchen mit Zylinder, griff nach dem Mikrophon. »Liebe Gäste, heute erleben Sie den einmaligen Auftritt der Gigantinnen. Rosa, das Walross, ungeschlagen in mehr als zwanzig Kämpfen, trifft auf den Brettern, die die Welt bedeuten, auf Olga, auch die Unerbittliche genannt. Olga hält seit zwei Monaten den Titel der besten Ringkämpferin Berlins und hat die meisten ihrer Gegnerinnen durch K. o. besiegt.«
Malu ließ ihren Blick von den beiden Frauen zu Ruppert schweifen. Der saß da mit ausgestreckten Beinen und einem derben Grinsen auf dem Gesicht.
Einige Männer aus dem Publikum pfiffen, und auch Ruppert steckte zwei Finger in den Mund und tat es ihnen gleich. Malu schüttelte den Kopf. Er hat Manieren wie ein Gassenjunge, dachte sie. Dann sah sie, dass Lothar von Hohenhorst gelangweilt die Decke des Theaters musterte.
»Interessieren Sie sich nicht für Frauenringkämpfe?«, fragte sie.
Lothar warf ihr einen indignierten Blick zu. »Nein«, erwiderte er. »Ich bevorzuge Pferde- oder Hunderennen.«
Malu lächelte. »Dann sind Sie wohl ein Ästhet.«
Lothar lächelte zurück und betrachtete Malu mit neuer Aufmerksamkeit. »Ich fürchte, da haben Sie recht, gnädiges Fräulein.«
Ruppert rutschte auf seinem Stuhl hin und her, als wäre ihm die Hose mit einem Mal zu eng geworden. Malu bemerkte, wie Isabel mit einem verächtlichen Lächeln auf den Lippen ihren Bruder beobachtete.
Ein Gong ertönte, und die eine Ringkämpferin – Malu hatte schon vergessen, ob es das Walross Rosa oder die unerbittliche Olga war – stürzte sich mit Gebrüll auf ihre Gegnerin, umklammerte
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