Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
es so vor, als würde der alte Mann sie ihm darbieten. Hier ist meine Tochter. Nimm sie. Kümmere dich um sie, wenn ich nicht mehr bin . So wunderbar es war, dass er – ein Junge aus den Slums von Fitzroy – erwählt sein sollte, zweifelte Marcus doch keinen Anblick daran.
Ganz am Anfang, während einer seiner regelmäßigen Mahlzeiten dort, sagte Erasmus Musk, wie Marcus sich erinnert, mit einem Lächeln zu seiner Tochter: »So schwer du dir das auch vorstellen kannst, meine Liebe, aber der junge Constable O’Brien war auf der Schule ein Teufelsbraten.«
Die Lehrer hätten ihn am liebsten der Schule verwiesen, weil er ihren Unterricht störte, aber Erasmus erkannte, was in dem Jungen steckte. Er sagte ihm, wenn er sich auf das Gelernte und die Hausaufgaben konzentriere, gäbe er eines Tages einen guten Anwärter für die Victoria Police ab. Davor hatte keiner Marcus O’Brien eine Zukunft prophezeit, und so unwahrscheinlich dieser Vorschlag auch zu sein schien, der Instinkt des alten Erasmus sollte sich als richtig erweisen. Er ließ sich von dieser Idee mitreißen und klemmte sich dahinter.
Jemma hatte ihn über den Esstisch hinweg prüfend angesehen, als wollte sie versuchen, sich ihn als Jungen in kurzer Hose vorzustellen, der Chaos im Klassenzimmer verbreitete.
»Ich werde an Sie denken, Constable O’Brien, wenn ich bei meinen aufmüpfigeren Mädchen mit meinem Latein am Ende bin. Manchmal frage ich mich, was aus ihnen werden soll.«
Und alle hatten gelacht und waren heiter gewesen, wie Marcus sich eine richtige Familie vorstellte, und er war sich sicher, weder Jemmas Gefühle noch die Absichten ihres Vaters falsch gedeutet zu haben. Die Aufrichtigkeit im Austausch, die spielerische Zuneigung. All dies sprach für ein tieferes Einvernehmen von etwas, das so gedacht war. Dabei war er in Sorge, man könnte ihm seine Herkunft anmerken, vor allem was seine Tischmanieren oder die genäselten Vokale betraf, aber seit er Sprechunterricht genommen hatte, war sein Selbstvertrauen mit dem Schliff seiner Sprache gewachsen.
»Es bereitet mir das größte Vergnügen, Miss Musk«, erwiderte er, »zu wissen, dass Sie an mich denken werden.«
Marcus wird sich seines lauten Stöhnens erst bewusst, als einer der Fischer ihm einen Blick zuwirft. Er hat sich vorgenommen, heute Abend nicht an sie zu denken, sondern die Seeluft einzuatmen, die Sterne aufzusaugen und seinen Geist zur Ruhe kommen zu lassen. Doch es hilft nichts. Er weiß, dass er sich gefährlichem Territorium nähert. In diesen Augenblicken wünscht er sich, er hätte den alten Erasmus niemals kennengelernt. Denn dann hätte er auch Jemma nie getroffen und würde nicht Tag und Nacht von quälenden Gedanken an sie heimgesucht. Was als ein Jucken begonnen hatte, war durch unablässiges Kratzen zu einer offenen, schwärenden Wunde geworden. Seine ganze wache Zeit – sofern er nicht von seiner Arbeit oder seinen Vögeln abgelenkt ist – verbringt er damit, wie ein Besessener in der Wunde herumzustochern und ihre Begegnungen und Gespräche immer und immer wieder durchzuspielen. Am meisten quält ihn dabei die Erinnerung an ihre letzte Begegnung, als er die Kontrolle verlor und die Dämonen herausließ.
Einer der Fischer stößt einen gellenden Schrei aus. Marcus blickt auf und sieht, wie der Mann sich auf seine Angel stürzt, diese rasch aus dem Wasser zieht und in einer einzigen fließenden Bewegung über die Mole schwingt. Ein weiches, durchnässtes Geschöpf landet klatschend auf dem Holz. Im Licht der Laterne sieht man etwas Schwarzes hervorquellen. Das Geschöpf zappelt nicht herum wie ein Fisch. Einige seiner schleimigen Tentakel bewegen sich schwerfällig, ihre Saugnäpfe scheinen Luft zu schlucken. Marcus hat schon viele Fische gefangen, aber einen Tintenfisch direkt aus dem Wasser hat er noch nie gesehen. Sein knotiger Kopf ist zur Seite geplumpst, und ein großes schwarzes Auge ist zu sehen. Dieses unter seinem schweren Lid so allwissend wirkende Auge bringt Marcus dazu, sich zu fragen, was wohl in diesem knotigen Kopf vor sich gehen mag. Wie kommt es damit zurecht, sich plötzlich seinem wässerigen Zuhause entrissen an der warmen Nachtluft zu finden, was für ein Schock zu entdecken, dass seine Welt anders ist als gedacht. Dass man es getäuscht, geködert und hingeworfen hat? Und wie als Antwort darauf wechselt das Geschöpf langsam die Farbe. Als es auf der Mole landete, war es bleich, beinahe durchsichtig gewesen, jetzt jedoch leuchtet es
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