Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
orange. Und beim Hinsehen verändert es sich schon wieder, wechselt von Orange nach Braun und dann zu einem tiefen Violett. Sehr langsam schwindet die Farbe und mit ihr das Leben. Marcus starrt sein blindes Auge an.
Der Fischer bückt sich und reißt einen bedrohlich aussehenden Haken aus seiner Öffnung, wirft den toten Tintenfisch danach in einen Eimer und präpariert seine Angel.
Marcus trinkt den Rest seines Biers. Er hat den Flaschenhals fest im Griff, als er aufsteht, um zu gehen. Da kommt ihm der leuchtend orangefarbene Tintenfisch in den Sinn, gleich darauf gefolgt vom Bild des toten Kanarienweibchens, wie es auf dem Boden des Käfigs liegt. Er hatte ihm Paprika gefüttert, um sein Gefieder orange zu färben. Es sollte daran keinen Schaden nehmen. Und ehe er weiß, was er tut, hat er schon die Flasche in die Luft geworfen. Es folgt eine Explosion zersplitternden Glases.
Marcus zwingt sich, tief durchzuatmen. Das muss nicht sein, sagt er sich. Er ist keine rückgratlose Kreatur, die kampflos aufgibt. Er darf nicht vergessen, wer er ist. Dass er Constable Marcus O’Brien ist. Dass er die Macht und die Autorität besitzt, Dinge zurechtzurücken – sofern er geduldig und vorsichtig ist und die Hoffnung nicht verliert.
Erasmus Musk glaubte an ihn. Das darf er niemals vergessen.
6
Wie bei Träumen so üblich gibt es keinen klaren Anfang und kein befriedigendes Ende. Jemma ist inmitten eines Sturms draußen im Busch. Sie hat unter einem großen alten blauen Gummibaum Zuflucht gefunden, als in einen benachbarten Baum der Blitz einschlägt. Es folgt eine Explosion, als bräche der Himmel auf, und nachdem der Rauch sich verzogen hat, bleibt nur noch ein verkohltes Gerippe übrig. Sie richtet ihren Blick auf den Blattbaldachin über ihr und erkennt die Gefahr, in der sie schwebt. Obwohl sich alles in ihr dagegen auflehnt, zwingt sie sich, hinaus ins Freie, in den niederprasselnden Regen zu gehen.
Erschrocken wacht Jemma auf und ist überrascht, nicht nass zu sein. Sie spürt, dass sich etwas verändert hat, geht ans Schlafzimmerfenster und zieht die Vorhänge zurück. Sie hält die Luft an, als sie im verwaschenen Morgenlicht die abgebrochenen Äste sieht, die wie Gliedmaßen auf einem Schlachtfeld über den Rasen verstreut liegen. Die Gartenbeete sind platt gedrückt. Jeder Strauch oder kleine Baum ist umgebogen oder abgebrochen. Wie aus dem Himmel geworfene Steinbrocken drücken glitzernde weiße Hagelkörner alles nieder. Also, sagt sie sich, war das Unwetter in ihrem Traum doch real.
Sie zieht sich rasch an, wobei sie ein wenig zittert, möchte nichts wie weg. Es ist zwar noch früh, aber sie hört bereits Stimmen und Schritte, die im Flur auf und ab eilen, und plötzliche Verzweiflungsschreie und die durchs Treppenhaus hallende scharfe Stimme Mrs. Rutherfords. In der Küche trifft sie Mildred und eins der Mädchen dabei an, wie sie auf Händen und Knien das Wasser aufwischen, das während der nächtlichen Sintflut durch den Kamin und durch ein zerbrochenes Fenster ins Haus eingedrungen ist.
Jemma verabschiedet sich und macht sich auf die Suche nach Caroline, der sie eine Erklärung für ihren Weggang schuldig zu sein glaubt. Oben entdeckt sie eine Reihe von Eimern, die das Wasser auffangen, das durch das vom Hagel leckgeschlagene Dach tropft. Caroline ist nicht in ihrem Zimmer und auch nicht im Salon, und da Jemma weder eine Begegnung mit Mr. noch mit Mrs. Rutherford wünscht, schreibt sie dem Mädchen eine Notiz und hinterlegt diese auf seiner Frisierkommode. Sie bittet Mildred, ihr Gepäck und ihre Malsachen so lange zu verwahren, bis sie diese abholen lässt, und verlässt dann das Haus, indem sie nur die drei sie belastenden Gemälde mitnimmt.
Jenseits der hohen Hecke trifft sie eine völlig veränderte Landschaft an. Das Haus liegt auf halber Höhe des Wombat Hill und gewährt einen guten Überblick auf die Hauptstraße und einen großen Teil der Stadt. Als Jemma in die Stadt kam, hatte diese Anordnung in ihr die Assoziation der mittelalterlichen Vorstellungswelt von Himmels- und Höllenkreisen ausgelöst. Auf der Bergspitze gediehen in üppigen botanischen Gärten viele europäische und exotische Pflanzen. Gleich unterhalb dieses Paradieses befanden sich die Herrenhäuser und stattlichen Villen der einflussreichsten Familien dieser Stadt. Auf Höhe des Fegefeuers befand sich die Hauptstraße, beherrscht von Institutionen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens. Wenn man tiefer kam, traf man
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