Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
wobei das Gold in große Tiefen geschwemmt wurde, die nur durch ermüdende Schächte viele Meter unter der Erde erreicht werden können. Nach anderthalb Jahrzehnten Goldwäsche, mühevollen Aufspürens und Schürfens ist der größte Teil des oberflächlichen Goldes abgebaut. Leichte Beute ist selten geworden.
Nathaniel Byrnes marineblaue Augen wandern von den steilen, mit Farnen bewachsenen Schluchten und fruchtbaren Basaltebenen zu den zerklüfteteren Gegenden der Landschaft, wo die Goldfelder liegen und die Köhler und Zaunmacher und Holzfäller das Land bis auf wenige verkümmerte Bäume gerodet haben. Er versucht sich vorzustellen, wie es in nunmehr hundert Jahren aussehen wird, um sich auch einmal in die Zukunft zu wagen, wo er sonst mit Leichtigkeit in die fernste Vergangenheit eintaucht wie in ein dunkles, tiefes Wasserloch an einem Sommertag. Aber etwas lässt ihn zaudern. Dieser tiefe Tümpel wabert und verdampft. Die Zukunft hat keine Konturen, keine Spurenelemente, sie wirft kein Spiegelbild zurück. Es ist ein trübes Gebräu aus Möglichkeiten und Statistiken, aus Spekulation, Angst und Hoffnung. Er ist geneigt, sie für einen Mythos zu halten, eine notwendige Illusion, einen unbewohnbaren Raum zwischen dem Augenblick der Gegenwart und dem Tod.
Darüber hinaus wird die ganze Gleichung noch durch den unvorhersehbaren Faktor Mensch verkompliziert, einen Faktor, der in seinen üblichen Deduktionen kaum zum Tragen kommt. Dieses unbeständige Element beunruhigt ihn und blockiert sein Denken. Anstatt mit einem Satz Millionen von Jahren zu überspringen, arbeitet er sich mühsam ein Jahrzehnt ums andere voran und kann sich des immer stärker werdenden Gefühls, dass irgendetwas schiefgegangen ist, nicht erwehren. Vor ihm ragen die geisterhaften und leichentuchgrauen Erscheinungen von Buchsbaum und Eukalyptus auf, die Mühe haben, sich in der nackten, hart gebackenen Erde zu behaupten, von Minen, in die man verrottende Kadaver geworfen hat, über denen summend die Fliegen kreisen, die ansonsten aber nicht aufgefüllt wurden.
Als seine Visionen immer düsterer werden, schilt er sich. Was sind schon hundert Jahre im großen Plan des Lebens? Nichts weiter als ein paar Generationen von Männern und Frauen, Leben, die in der großen Zeitspanne der Erdgeschichte überhaupt nicht zählen. Aber dann überfällt ihn hinterrücks ein Gedanke, der schon immer auf seine Gelegenheit gelauert hat. Dies sind die Generationen, die ihre Existenz womöglich ihm verdanken werden, dem zufälligen Ausbruch seines ungeschützten Verlangens. Doch das ist kein Gedanke, den er weiter zu verfolgen wünscht. Er gehört nicht zu den Männern, die sorglos ihren Samen verteilen und mutwillig Bastarde zeugen, die er nie kennenlernen und für die man ihn nicht zur Rechenschaft ziehen wird. Er wird sich von niemandem in Fesseln legen lassen. Selbst wenn er sich erlaubt, oben im Red Lion den Verlockungen von Betsy oder Emmaline oder der Dunkeläugigen, die sich selbst Lola Montez nennt, nachzugeben, nutzt er diese Gelegenheit nie aus. Benutzt ein Präservativ oder feuert ihn über ihren Köpfen ab. Die ratlosen Frauen bewundern ihn dafür, dass er sich so unter Kontrolle hat. Als Betsy ihn einmal fragte, wovor er denn solche Angst habe, schwang er sich sofort aus dem Bett und schlüpfte in seine Moleskinhose. Ohne ein Wort der Erklärung schnallte er seinen Gürtel zu und steckte sein Hemd in die Hose. Erst als er nach dem Hut griff, der neben der Tür an einem Holzständer hing, gab er ihr zu verstehen, was mit ihm los war. Diese Frage, sagte er kalt, dürfe sie ihm niemals mehr stellen.
Als Nathaniel ein Junge war, stieg er oft auf den Gipfel des Wombat Hill (damals gab es dort noch keinen Aussichtsturm), in der Hoffnung, seinen Vater zu erspähen, der als Hausierer die meiste Zeit auf der Straße zubrachte. Ganze Nachmittage hielt er angestrengt Ausschau nach einem einsamen Reisenden, der in der Ferne Staub aufwirbelte. Dieses Warten lehrte ihn Geduld und gab ihm Zeit, die Lage des Landes zu studieren und langsam seine Geschichte zu entziffern und sich vorzustellen, was darunterlag. Wenn eine vertraut aussehende Gestalt auftauchte, suchte er nach verräterischen Zeichen – dem Humpeln, das das Pferd seines Vaters auszeichnete, der mit einer Plane bedeckten Kutsche, gefüllt mit Kurzwaren, dem ramponierten Hut aus den Fasern des Cabbage Tree.
Während jener kurzen Zeitspannen, in denen sein Vater in der Stadt weilte, pflegte Lang Byrne
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