Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Nathaniel zu zeigen, wie man in dem Fluss, der durch ihre Weide lief, Gold wusch. Manchmal fanden sich neben den Goldkörnern auch Splitter blauen oder roten Steins im Kies. Sein Vater tat diese als wertlos ab und warf sie weg, aber Nathaniel wühlte im weggeworfenen Schlamm nach den farbenfrohen Edelsteinen. Und es kümmerte ihn nicht, wenn sein Vater ihn einen blöden Maulesel nannte. Diese Edelsteine waren viel schöner als Gold. Er fing an, die Schürfstellen aufzusuchen, doch die meisten Männer behielten ihre Funde verschwiegen für sich, nur ein paar der älteren Goldgräber winkten ihn herbei und zeigten ihm eine kleine Phiole oder Flasche voll Wasser und Kies mit ein paar Goldkörnern darin. Doch dem Jungen kam es immer so vor, als sähe er mehr Glanz in ihren Augen als in diesen Gläsern. Er bat die Goldgräber, sollten sie Edelsteine finden, diese für ihn aufzuheben und nicht auf die Abraumhalde zu werfen. An einem guten Tag konnte es durchaus vorkommen, dass er mit einer Handvoll blauer und roter Splitter nach Hause kam, die so geheimnisvoll waren und ihm den Mund genauso wässerig machten wie ein klebriges Stück seines Lieblingskonfekts, Castlemaine Rock.
Während seiner Beschäftigung mit Steinen und den Bedingungen ihres Entstehens wurde ihm klar, dass die Edelsteine ihm mehr über die Tiefen der Erde zu erzählen vermochten als das Gold. Die Steine enthielten winzige Kristalle und andere Mineralien, Spurenelemente, die ihm die Geschichte ihrer Herkunft erzählten und in welcher Gesellschaft sie gewesen waren. Nach Abschluss seines Studiums an der Ballarat School of Mines war Nathaniels Vorstellungsgabe so geschärft, dass er nicht mehr nur die bloßen Konturen einer Landschaft sah, die Oberflächenbeschaffenheit, wie das gewöhnliche Auge sie wahrnimmt. Und so musste er jedes Mal, wenn er am Friedhof vorbeikam, seinen Schritt beschleunigen und sich abwenden, weil er die grausamen Bilder nicht zu bannen vermochte, die sich ihm aufdrängten, der Querschnitt von Erde und Leichen und Särgen in den verschiedenen Stadien des Verfalls unter den Grabsteinen und Granitengeln, die mit ihren Fingern auf den Himmel zeigten.
Nathaniel Byrne nimmt das Fernglas von seinen Augen, als er den Friedensrichter Rufus Gleeson entdeckt, der vom Frühschoppen aus dem Athens Hotel kommt, bevor seine Morgensitzung beginnt. An den Fall von vergangener Woche will er lieber nicht denken, geschweige denn an den Ärger, den dieser ihm eingebracht hat. Seine Vorgesetzten vom Vermessungsamt haben ihn gewarnt, dass ein Auftreten als Experte und Augenzeuge für einen Chinesen nicht ratsam sei und seine Anstellung gefährden könne. Doch die Versuchung ist groß, alles auf eine Karte zu setzen und seine Energie der Organisation einer Expedition ins Landesinnere zu widmen, die er schon seit Jahren plant. Außerdem, überlegt er, könne er, wenn er kündige, noch immer als geologischer Experte tätig sein, auch wenn gewisse Mitglieder des Vermessungsamts zweifellos alles dransetzen würden, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Weshalb also sollte ihm verboten sein, sich für die Belange eines Chinesen einzusetzen? Jahrelang hatte seine Mutter ihr Gemüse in dem von Ah Yong geführten Marktgarten gekauft. Und nun hatte man dessen Bruder Ah Sen beschuldigt, Falschgold an den Mann zu bringen, indem er sich einer primitiven Form der Alchemie bediente und ein Amalgam aus Gold, Kupfer und Silber als Qualitätsgold anbot. Nathaniel wusste bereits, bevor der Fall überhaupt verhandelt wurde, dass der Friedensrichter keinen Freispruch aussprechen würde. Aber da er die Beweislage eingehend studiert hatte, glaubte er fest daran, dass Zweifel angebracht waren. Wie er dem Gericht darlegte, existierte Gold in Reinform überhaupt nicht, und der prozentuale Anteil der Legierung sei variabel wie auch die Farbe des Goldes selbst. Die rötliche Färbung von Quarzgold weise auf das natürliche Vorhandensein von Kupfer hin, während angeschwemmte Körner ihren blassgrünen Schimmer der natürlichen Beimischung von Silber verdankten. Die Wahrheit, so erklärte er dem Friedensrichter, liege in den Steinen selbst.
Dies vermochte den Friedensrichter nicht zu beeindrucken. »Es steht Ihnen nicht zu, in dieser Angelegenheit über die Wahrheit zu befinden, Mr. Byrne. Ich bin derjenige, der dies zu erwägen und das letzte Wort hat.« Und nun leistet Ah Sen zwei Jahre Strafarbeit bei einem Trupp Straßenarbeiter am Mount Alexander ab.
Nathaniel
Weitere Kostenlose Bücher