Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
gehen ins Land, und er hört nichts von ihr. Zwei Mal am Tag geht er bei Manotti & Curle’s Sprudelwasser in der Hoffnung vorbei, ihr über den Weg zu laufen. Er merkt, dass er die Fassung verliert und seine Gabe, den rechten Zeitpunkt abzupassen, verloren hat. Das hat er auch nicht mehr nötig. Er ist eine Respektsperson, die man nicht derart hinhalten darf. Dann entdeckt er sie eines Tages, wie sie gegen Mittag Brabant’s Warenhaus verlässt. Glücklicherweise ist seine Uniform gerade frisch gereinigt und gebügelt, und weil er stolz ist auf die gute Figur, die er in dem oben von einem Messingknopf gehaltenen Uniformrock macht, hebt sich auch seine Laune. Undenkbar, dass er nicht zu beeindrucken vermag. Dank seiner neuen Position gehört er zu den mächtigsten und am meisten bewunderten Männern der Stadt.
Als Jemma ihn auf der staubigen Straße näher kommen sieht, hebt sie ihren Sonnenschirm. Am liebsten würde sie unsichtbar werden, aber ihr bleibt keine Wahl. Er lüftet seine Kappe und lächelt warmherzig, lässt sie wissen, wie gut sie aussieht. Er gibt sich kultiviert, und obwohl sie noch immer auf der Hut ist, hegt sie die Hoffnung, sie könnten alle Unstimmigkeiten hinter sich lassen. Doch dann fällt sein Blick auf das über ihren Arm drapierte weiße Litzen- und Spitzengewebe, das sie gerade für ihren Hochzeitsschleier gekauft hat. Das blendende Weiß spricht für sich selbst.
Er vermag seine Verwirrung nicht zu verbergen.
Jemma sieht ihm an, dass er Angst hat, sie zu fragen. »Ich werde heiraten, Marcus«, sagt sie leise. »In drei Wochen. Möchten Sie mich beglückwünschen?«
Hinter seinen Augen passiert etwas. Jemma kennt es bereits. Eine Art Gärprozess, aufsteigende Wut, die zu unterdrücken nicht in seiner Macht steht. Selbst seine Iris scheinen ihre Farbe zu verändern.
Marcus ist so angespannt, dass er kaum sprechen kann. »Sie haben doch sicherlich die Zeitungen gelesen?«
»Der Raubüberfall, natürlich! Ich habe alles darüber erfahren. Sie waren sehr mutig. Ich bin sicher, mein Vater wäre stolz auf Sie gewesen.«
Seine Stimme ist leise und rau. »Ich möchte, dass Sie stolz sind. Wissen Sie denn nicht, dass sich mir die Frauen auf der Straße in den Weg stellen?«
Jemma, die nun ebenfalls angespannt ist, wünscht, er könnte sich über die Aufmerksamkeit dieser anderen Frauen freuen. Warum verfolgt er sie so beharrlich? Sie kann ihm nicht geben, was er möchte. Sie hat Mitleid mit ihm, fürchtet ihn aber auch. Sie weiß, dass ihr Schweigen grausam ist, allerdings nicht, womit sie es füllen soll. Seine Wangenmuskeln arbeiten, während er versucht, sich unter Kontrolle zu halten.
»Glauben Sie denn, Ihr Vater würde wollen, dass Sie einen Bauern heiraten? Sie werden nicht glücklich werden, Jemma. Ich kenne Sie besser, als Sie glauben.«
Sie verabschiedet sich von ihm und wendet sich zum Gehen, doch er hält neben ihr mit steif aufgerichtetem Körper Schritt.
Und wie zum vertraulichen Gespräch neigt er den Kopf in ihre Richtung und sagt: »Und Sie kennen mich, Jemma. Ich werde nicht aufgeben.«
10
Am Abend vor der Hochzeit ist der Himmel zartrosa gefärbt und von Wölkchen getupft, die an Zuckerwatte erinnern – Gotardos Leuten zufolge ein gutes Zeichen für den kommenden Tag. Jemma hat den Eindruck, dass sie immer nach Zeichen Ausschau halten, sowohl guten als auch schlechten. Und bei ihrer Suche immer fündig werden.
Jemma kann nicht schlafen und ist gerade erst eingedöst, als Celestina sie an der Schulter schüttelt und zum Aufstehen drängt. Draußen ist es noch immer dunkel. Sie sitzt im Lampenlicht vor dem Frisiertisch, während Celestina um sie herumwimmelt und sich um ihr Haar und ihr Gesicht kümmert. Während Jemma im Spiegel verfolgt, wie die Braut Gestalt annimmt, fragt sie sich, ob sie das tatsächlich ist? Der Schleier, den Celestina jetzt über ihr Haar breitet, ist an einer runden Krone rosafarbener Röschen befestigt.
Über Babington’s Hill steigt die Sonne auf. Die Glocken von St. Peter beginnen zu läuten.
Celestina stößt einen zufriedenen Seufzer aus. »Jetzt sieh dich an.«
Jemma mustert das vollendete Werk. Es überrascht sie, dass sie so gelassen wirkt, und hofft, dies möge der Beginn einer tiefer gehenden Verwandlung sein. Noch immer vermag sie kaum zu fassen, was geschieht. Seit Gotardo und sie ihre Verlobung bekannt gegeben haben, wurde ihnen alles aus den Händen genommen. Da Celestina sich in diesen Dingen auskennt, hat sie zusammen mit
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