Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
wachsenden Zahl von verwilderten Hunden, darunter viele große Doggen, die von den in der Stadt lebenden Schürfern hergebracht worden waren, um die Goldhaufen zu bewachen, die sie zu finden hofften. Als diese sich dann im Unterhalt als zu kostspielig erwiesen, setzten ihre Besitzer sie auf der Straße oder irgendwo auf dem Land aus, wo sie nun in rastlosen Rudeln umherschweifen, Weidevieh und Pferde erschrecken und Schafe angreifen.
Nachdem er seine Lieferungen erledigt und sich um das Vieh gekümmert hat, macht er am Postamt halt, wo er hofft, einen Brief seiner Eltern oder von Felice vorzufinden. Acht Monate ist es her, dass er ihnen von seiner bevorstehenden Hochzeit schrieb und Felice um Verzeihung bat. Ihre Antworten sollten ihn inzwischen erreicht haben, und je länger er wartet, umso vorwurfsvoller empfindet er ihr Schweigen. Seine Brüder hat er gewarnt, dieses Thema nicht vor seiner Frau anzuschneiden, doch es beunruhigt ihn, dass sie ihn damit in der Hand haben. Jedes Mal, wenn er mit ihnen zusammen ist, ist er nervös und wartet ängstlich darauf, was sie sagen könnten. Bei aller Aufmerksamkeit, die ihm der Artikel im Advocate gesichert hat, kann er sich nicht darüber freuen. »Ist nur ein Teil der Geschichte, nicht wahr?«, hatte Battista gemeint.
Der Postmeister schüttelt den Kopf. Er erwarte erst im späteren Verlauf der Woche Post vom Kontinent. Gotardo geht mit leeren Händen, doch er hat einen Entschluss gefasst. Er darf nicht länger schweigen. Er wird reinen Tisch machen und Jemma einfach die Wahrheit erzählen. Dann kann er seiner Frau und seinen Brüder wieder in die Augen schauen und hat nichts mehr zu befürchten. Mit einem Peitschenknall treibt er seine Stute zu einem raschen Trab an, und obwohl der Karren über die Spurrinnen schwankt, hält er die Zügel locker. Abgesehen von weißen Wolken, die über den Schluchten schweben, ist der Nebel verdunstet, und der Himmel zeigt sich in seinen sanftesten Blautönen. Nach einem stärkenden Glas Grappa wird er heute Abend mit ihr reden.
Die Mahlzeit ist vorbei, und Gotardo verweilt am Kamin, wo er im brennenden Holz herumstochert, ehe er ein frisches Scheit roten Eukalyptus auflegt. Die Glut zerstiebt unter dessen Gewicht und setzt einen Funkenregen frei. Er befestigt die Feuereisen, hebt vom Teppich ein Stückchen Rinde auf und wirft es auf den Gitterrost. Etwas trappelt über das Dach. Vor dem Fenster kratzt und zischt ein Opossum wie ein Dämon. Durch die Scheibe leuchten seine starren bernsteinfarbenen Augen herein. Jemma sitzt Gotardo gegenüber im Lampenschein und liest den Advocate . Gotardo schweigt, seine Finger gegen die Schläfen gepresst, und ringt um die richtigen Worte. Aber ihm fallen nur die Worte Felices ein, aus einem Brief, der schon auf ihn wartete, als er in Wombat Hill eintraf. Es war der erste Brief, den sie je geschrieben hatte, und sie meinte ganz verwundert, dass »diese Zeichen auf dem Blatt – die du mir so geduldig beigebracht hast – meine Gedanken und meine Liebe ans andere Ende der Welt schicken werden. Und wie ich meine Worte beneide. Denn sie werden lange vor mir bei dir sein!«
Er ist kein frommer Mann, hielt sich aber immer für einen von Grund auf guten Menschen. Es liegt nicht in seiner Natur, sich zu verstellen oder Geheimniskrämerei zu betreiben. Doch etwas lähmt ihn, obwohl er reden sollte. Nacht für Nacht träumt er, Felice nach ihm rufen zu hören, wie sie das damals auf den oberen Hängen des Gotthard immer getan hat, von wo ihre Stimme durchs Tal hallte. Oder er ist wieder in seinem Dorf und hört die Kirchenglocken zu einer Beerdigungsprozession läuten. Dann wacht er schweißgebadet auf, den klagenden Refrain noch im Ohr.
14
Jemma hört die Stimmen unter der Erde als Erste, als sie an einem Abschnitt der Weide vorbeikommt, den Gotardo auf halbem Weg zwischen dem Haus und ihrem neuen Atelier als Gemüsegarten hergerichtet hat. Die letzten Feldfrüchte sind abgeerntet, und das Gemüsefeld ist nunmehr nichts weiter als ein großer Streifen gepflügter Erde, der auf die Saat wartet. Doch als ihr Blick jetzt auf diese feuchte, krümelige Erde fällt, könnte es auch ein frisch gefülltes Familiengrab sein, dessen Bewohner man zu voreilig begraben hat. Während sie stehen bleibt und lauscht, ob sich hinter dem monotonen Gesang der Honigvögel und der kreischenden Elstern Geräusche menschlichen Lebens unter der Erde wahrnehmen lassen, rechnet sie halb damit, dass eine Hand durch die Erde kommt
Weitere Kostenlose Bücher