Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
aus Dr. Borsas Praxis kam, Mrs. Hennig von der Ladies’ Guild über den Weg gelaufen sei. Die als altes Klatschweib bekannte Mrs. Henning habe mehrmals ihren Bauch angeschaut und ihr zugeflüstert, sie werde jene Bilder, die sie gemalt habe, nunmehr wohl voller Bestürzung betrachten. Die von dem kleinen Mädchen in Nöten.
»Was hast du darauf erwidert?«
»Ich war so verblüfft von ihrer Unverschämtheit, dass ich kein Wort herausbrachte. Doch dann sagte ich ihr, dass ich es ganz im Gegenteil wieder machen würde. Und dann war sie an der Reihe, verblüfft zu sein.« Jemma lacht freudlos und bricht gleich darauf völlig unvermittelt in Tränen aus. Nur gut, dass außer ihnen sonst niemand im Abteil ist.
Celestina klopft auf den leeren Sitz neben sich. »Komm rüber, Jem.«
Jemma legt ihren Kopf auf die Schulter ihrer Freundin. »Mir fehlt da offenbar etwas, Tina, ich empfinde nichts für Kinder. Sie regen mich auf. Manchmal mag ich sie nicht einmal!«
Celestina antwortet darauf mit einem herzhaften wissenden Lachen. »Das geht allen Eltern so.«
»Aber du wolltest sie. Du wolltest Kinder.« Jemma hatte dieses Bedürfnis nie verspürt. Ihre einzige Erfahrung mit Kindern machte sie mit ihren Schülern, alles Mädchen, die schon fast ausgewachsen waren. Babys machen ihr regelrecht Angst. »Sie sind süß, wenn sie lächeln und brabbeln. Aber wenn sie schreien, halte ich das nicht aus. Ich sehe mir ein Gemälde an und fühle mich sofort hingezogen. Ich weiß, wie der Künstler diesen Lichteffekt oder jene erhabene Stimmung geschaffen hat. Ich kann seinem Geist bei der Arbeit zusehen, seiner von jahrhundertelanger Tradition und Überlegung geführten Hand. Wenn ich große Kunst betrachte, fühle ich mich in einen Zustand versetzt, den ich kaum zu beschreiben vermag. Aber wenn ich ein Kind ansehe, verstehe ich gar nichts. Zweifellos wird Mrs. Henning entzückt sein zu erfahren, dass ich so gefühllos und kaltherzig bin, wie sie und ihr Zirkel das immer schon behauptet haben. Gotardo glaubt allerdings daran, dass ich meine Meinung ändern werde, wenn das Kind erst einmal geboren ist.«
»Und das wirst du auch«, versichert Celestina ihr.
Jemma blickt ihre Freundin forschend an. »Aber es ist doch sicherlich falsch, ein Kind auf die Welt zu bringen, wenn man so fühlt wie ich?«
Celestina vermag ihr Entsetzen nicht zu verbergen. »Was redest du da?«
Der Zug ruckelt und bleibt dann abrupt stehen. Die beiden Frauen kippen nach vorn und halten sich an den gegenüberliegenden Sitzen fest. Ihre Hauben – die sie abgelegt und auf ihren Schoß gelegt haben – werden zu Boden geworfen. Der Blick aus dem Fenster verrät ihnen, dass sie sich der ewig von Wolken umhüllten Gegend von Woodend nähern. Doch aus irgendeinem Grund haben sie mitten in einem Wald angehalten, fast einen Kilometer vom Bahnhof entfernt.
Die Frauen heben ihre Hauben auf. Jemma kehrt an ihren Platz zurück. Sie ist davon ausgegangen, dass sie mit Celestina über alles reden könne, denn sie waren wie Schwestern zueinander. Aber dies ist eine Angelegenheit, die sie entzweien konnte, wenn sie es zuließ. Natürlich sieht sie als Tochter eines agnostischen Freidenkers die Dinge anders als eine Tochter der katholischen Kirche.
»Du hast mich missverstanden«, sagt Jemma. Eigentlich weiß sie gar nicht, was sie gemeint hat, doch sie muss es laut aussprechen. Um die Frage loszuwerden. Es gibt so viele andere Ängste, die sie nicht auszusprechen wagt. Ihr Entsetzen darüber, sie könne wirr im Kopf und schwerfällig wie eine Kuh werden, ihre Brüste geschwollen wie die Euter, die sie jeden Morgen melkt, dass das saugende Kind ihr die Inspiration und die Ausdauer raubt, die sie zum Malen braucht. Immer wieder muss sie an ihre eigene blutige Geburt und den Tod ihrer Mutter denken, ein so schmerzhaftes Ereignis, dass ihr Vater nie mit ihr darüber sprach, außer um ihr zu sagen, dass ihre Mutter zwei Tage nach Jemmas erstem Schrei an einer Blutung gestorben ist.
Celestina beugt sich vor und greift nach Jemmas Händen. »Ihr werdet glücklich sein, du und Gotardo. Ihr werdet gute Eltern sein. Glaub mir, das weiß ich.«
Sie lächeln einander linkisch an. Der Zug setzt sich wieder in Bewegung. Während des Rests der Reise wählen sie ihre Gesprächsthemen mit Bedacht und unterhalten sich vor allem über das, was sie auf der Ausstellung zu sehen erwarten. Es werden Arbeiten aus London und Paris ausgestellt sein, aber auch Gemälde von Künstlern aus den
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