Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
umgegangen sind, was sie gesagt haben, wie sie sich berührt hatten. Wobei sie daran denken muss, wie Gotardo sich ihr immer von hinten nähert, wenn sie am Spülstein steht, und seine Arme um sie schlingt und sein Gesicht in ihrem Haar vergräbt. Oder wie sie am Abend in einvernehmlichem Schweigen zusammensitzen und lesen. Das sind ihr die liebsten Augenblicke. Doch sie hat nicht nur einen Mann geheiratet! Sie hat eine ganze Gemeinschaft geheiratet, ein Volk, das derart fleißig und umtriebig ist, dass es sie manchmal erschöpft, nur darüber nachzudenken, was wohl von ihr erwartet wird. Aber das kann sie Celestina wohl kaum erzählen.
Also lacht sie stattdessen. »Alle diese Feste und Namenstage der Heiligen. Noch nie habe ich so gut gegessen und so viel Wein getrunken!«
Celestina sieht sie verwundert an. »Dann ist also alles in Ordnung?«
»Ach Celestina«, hört Jemma sich ergänzen, »wie sollte ich mit Gotardo nicht glücklich sein? Er ist der beste, freundlichste aller Männer.«
Als sie aus dem Turm heraustritt, ist er da. Als hätte er auf sie gewartet.
»Jemma! Was für eine reizende Überraschung!« Marcus O’Brien ergreift ihre Hand und beugt sich mit einem strahlenden Lächeln über sie.
Jemma starrt auf den fuchsroten Wirbel seines Schädels. Es gelingt ihr, sich ihm zu entziehen. Obwohl sie ihn gelegentlich aus der Ferne gesehen hat, wenn sie zum Einkaufen in der Stadt war, hat sie seit dem Tag, als er ihr schwor, niemals aufzugeben, nicht mehr mit ihm gesprochen.
Er bedeutet ihr, sich zu ihm auf eine nahe gelegene Bank unter einer hohen Kiefer zu setzen.
Sie lässt ihren Blick schweifen und hofft, dass sie nicht die Einzigen im botanischen Garten sind.
»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, Jemma. Bitte. Ich bedauere aufrichtig mein Verhalten. Können wir das bitte vergessen? Können wir noch mal neu anfangen?« Doch ohne ihr Zeit zu einer Antwort zu lassen, redet er schon weiter. »Jetzt möchte ich nur noch Frieden mit Ihnen schließen.«
Die Luft riecht nach Kiefernnadeln und Staub. Ihr Instinkt gebietet ihr, auf der Hut zu sein. Doch sein Gesicht ist so verzerrt, seine Stimme klingt so elend, dass sie hofft, er sei zur Vernunft gekommen und habe die Dinge so akzeptiert, wie sie sind. Sie möchte nicht den Rest ihres Lebens damit verbringen, ihm aus dem Weg zu gehen. Wenn sie zivilisiert miteinander umgehen können, wird sie nicht länger in Angst vor seiner überschäumenden Wut leben müssen. Und es ist verständlich, dass auch er sein Leben fortführen möchte.
»Das möchte ich auch, Marcus«, sagt sie vorsichtig.
Mit seinem breiten Grinsen sieht er wieder aus wie der entwaffnende Schuljunge, der der Welt beweisen will, dass sie sich irrt. »Dann sind wir also Freunde?«
Jemma erlaubt sich ein Lächeln.
Schweigend sitzen sie nebeneinander, bis Marcus sagt: »Ich denke oft an Ihren Vater.«
Jemma starrt durch das Gebüsch auf die Hügel im Hintergrund. Das ist, wie sie weiß, die Wahrheit. Er ist der einzige Mensch in ihrem Leben, der ihren Vater noch gekannt hat. Einzig und allein aus diesem Grund ist es die Sache wert, sich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen.
Marcus greift in seine Manteltasche und zieht eine silberne Taschenflasche hervor. Jemma kennt sie nur zu gut. Sie hatte ihrem Vater gehört. Erasmus schenkte sie Marcus, als dieser in den Polizeidienst übernommen wurde. Er studiert einen Moment lang die Inschrift, schraubt dann den Verschluss ab und bietet ihr einen Schluck an. Als sie den Kopf schüttelt, hebt er sie vor ihr zum Toast. »Auf Erasmus Musk, einen von Gottes edlen Männern!«
Sie beobachtet ihn beim Trinken. Es schüttelt ihn vor Genuss, dann, plötzlich ganz ernst, wendet er sich an sie und sagt: »Ihm verdanke ich alles, Jemma. Mein Vater war ein alter Mistkerl. Keine Sorge, ich werde nicht rührselig werden. Ich wollte nur den Anlass würdigen.«
Das Vertrauen Jemmas in Marcus’ Motive ist noch nicht stark genug, um sich entspannt auf ein Gespräch über ihren Vater einzulassen. Es könnte schmerzhafte Erinnerungen und Missverständnisse wecken. In der Nähe fängt ein Vogel in einem Baum zu singen an, eine hübsche Fünfton-Melodie, die Jemma an eine Frau erinnert, eine Bekannte von früher, die das absolute Gehör besaß und jede einzelne Note erkannte, die ein Vogel sang. Zur Ablenkung erwähnt sie das gegenüber Marcus.
Es überrascht sie, dass sich daraufhin seine Miene erhellt. Und er erzählt ihr, dass er Kanarienvögel halte und
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