Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
sie züchte. Und welch wunderbare Sänger diese seien. Dass man ihnen einfache Melodien, die Klänge von Instrumenten und selbst die Rufe von Wildvögeln beibringen könne. Er erklärt ihr, dass man auf dem Kontinent die Kanarienvögel mit den langen gebogenen Federn oder so ausgefallene Vögel wie den Bossu Belge mit seinem Buckel bevorzuge, ihm aber die amerikanischen Arten besser gefallen, die ihrer Stimme wegen gezüchtet werden.
Jemma beobachtet ihn beim Erzählen und verfolgt, wie seine Miene weicher wird. Niemals hätte sie ihn für einen Vogelliebhaber gehalten.
Außerdem ist bei ihm die Besessenheit eines Liebhabers bis ins kleinste Detail ausgeprägt. Er berichtet von den Schwierigkeiten bei der Zucht und von der Aufregung zu beobachten, wie ein Vogel aus dem Ei schlüpft. Er schielt zu ihr. »Es gibt Leute, die halten es für normal, dass das Männchen auf das Weibchen einschlägt. Das sind Dummköpfe. Das würde ich niemals zulassen.«
»Das freut mich zu hören!« Jemma lacht verkrampft. Sie vermutet hinter dieser Bemerkung eine versteckte Anspielung auf ihre Ehe. Glaubt er etwa, Gotardo schlage sie? Ist das seine Vorstellung von Männern aus Europa? Will er sie damit ermutigen, sich ihm anzuvertrauen? Vielleicht bildet sie sich das auch nur ein. Er ist einfach nur besessen von seinen Vögeln. Und dafür sollte sie dankbar sein.
»Genug von den Vögeln!«, sagt Marcus unvermittelt. »Ich langweile Sie. Erinnern Sie sich noch daran, Jemma« – seine Ellbogen ruhen nun auf der Rückenlehne der Bank –, »als wir damals in East Melbourne diese Spaziergänge gemacht haben? Da haben Sie immer davon gesprochen, nach Paris gehen zu wollen.«
Jemma bezweifelt, dass ihm ihre Pläne jemals etwas bedeutet haben – zumal sie ihm zuwiderliefen. Paris ist ein Thema, über das sie lieber nicht nachdenken möchte. Sie redet sich ein, dass es schließlich nicht auf den Ort ankommt. Sondern auf die Aussicht, sich unter Gleichgesinnten wiederzufinden, neue Ideen ausprobieren zu können, ohne sich so allein zu fühlen.
»Ich bin heute vermutlich weniger zielstrebig«, erwidert sie. »Wenn man jung ist, träumt man immer von anderen Orten.«
»Und nichts hindert Sie, auch hier zu malen.«
»Genau.«
»Obwohl Sie nun auch andere Verpflichtungen haben.«
Jemma verkrampft sich. Sie hebt ein fleckiges weißes Kamelienblatt auf, das ihr auf den Schoß geflattert ist. Die Richtung, die das Gespräch jetzt nimmt, gefällt ihr gar nicht. Sie wird in Zukunft vorsichtiger sein müssen. Seine Absichten werden immer finster sein. Sie lässt das Blütenblatt auf den Boden fallen und erhebt sich.
»Es ist schon spät, Marcus. Ich muss gehen.«
Er nimmt ihre beiden Hände und sucht ihren Blick. »Ich bin so froh, dass wir einander verstehen, Jemma. Ich wusste es.«
13
Der Karren rollt den Abhang hinunter, doch Gotardo macht sich nicht die Mühe, die Zügel zu halten. Das Pferd kennt seinen Weg und weiß, wo es anhalten muss. Er schließt die Augen und lässt seine Gedanken schweifen. Die Begegnung mit einem Reporter des Advocate von Wombat Hill und der Artikel, den der junge Mann geschrieben hat, gehen ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte nicht damit gerechnet, eine Geschichte über einen Mann zu lesen, den er kaum wiedererkannte. Der Journalist schien zu glauben, Gotardo verfüge über geheime und besondere Fähigkeiten im Umgang mit Tieren, ganz zu schweigen von der übermenschlichen Kraft, die nötig war, um die ganze Herde aus der Schweiz herzubringen, ohne den Verlust eines einzigen Tieres , obwohl Gotardo es ihm anders erzählt hatte. Er hätte anhand der übereifrigen Anspielungen, die der junge Mann auf die Odyssee und andere vergleichbare Epen machte, schon ahnen können, dass er vorhatte, über Heldentaten und Leistungen mythischen Ausmaßes zu schreiben. Die neue Kolonie brauchte Helden, und dieser junge Reporter sah es als seine Aufgabe an, diese aus jedem nur verfügbaren Rohmaterial zu modellieren. »Ich habe kein Geheimnis«, hatte Gotardo hartnäckig beteuert. »Nur jahrelange Erfahrung, harte Arbeit und Glück.« Aber das hatte auf das, was der junge Mann schrieb, keinen Einfluss.
Infolge dieses neu erworbenen Rufs, ein Meister der Viehzucht zu sein, dauert seine morgendliche Milchrunde jetzt doppelt so lang. Die Bauern vor Ort und die Städter wenden sich nun ratsuchend an ihn, wenn es um die Behandlung ihres Viehbestands und ihrer Pferde, ja selbst um ihre Haustiere geht. Alle sind in Sorge wegen der
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