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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Capp
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träumt er, bereits auf hoher See zu sein. Es herrscht Windstille, und Nebel hat sich herabgesenkt. Als dieser sich lüftet, ist das Meer gefroren und hält sie fest. Es bleibt nichts anderes übrig, als das Schiff zu verlassen und in der Hoffnung, Land zu sichten, über die festen Wellen loszulaufen. Dann kommt warmer Wind auf, und das Eis beginnt sich zu heben und bricht. Er kennt den Geruch dieses Windes, den Föhn aus dem warmen Süden, der einen falschen Frühling ankündigt. Den Föhn mit seinem feuchten, heißen Atem, der die Knospen täuscht, sodass sie vor der Zeit aufbrechen und die zarten neuen Blüten binnen weniger Tage erfrieren, wenn der kalte Wind aus dem Westen weht, der ihm immer auf den Fersen folgt. Doch er hat keine andere Wahl, als über das Eis zu klettern, gefolgt von den kopflos gewordenen Kühen, die in die immer breiter werdenden Spalten stürzen.
    Er erwacht und hört unter dem Haus das Schlurfen und Muhen, als spürten die Kühe, was sie erwartet. Gotardo blickt sich in seiner kleinen, vom Mondlicht erhellten Kammer um und atmet das Aroma gerösteter Kastanien und getrockneten Tabaks und den schwachen Zimtduft der Würste vom letzten Jahr ein, der von der Küche nach oben steigt. Er klettert über die Leiter nach unten und setzt sich an das noch glimmende Kohlenfeuer. Obwohl seine Hände und sein Gesicht warm sind, kriecht die frühmorgendliche Kälte ihm über den Rücken und lässt ihn erschaudern. Er weiß, er wird nie mehr zurückkehren.
    Am späteren Vormittag beobachtet er seine Mutter, die in ihrem Festtagsstaat den Tisch für ihre letzte gemeinsame Mahlzeit deckt. Die Rohseide ihres gerafften Rocks raschelt und murmelt unentwegt, als gäbe sie der Traurigkeit eine Stimme, die sie selbst nicht ausdrücken kann, obwohl sie still um den letzten ihrer Söhne trauert. Als jüngster und klügster ihrer drei Jungen war Gotardo sehr zur Freude seiner Mutter vom Dorfpfarrer als vielversprechender Kandidat für das Kloster auserkoren worden. Er hatte Latein und auch ein wenig Griechisch gelernt, außerdem die Geschichte der Kreuzzüge studiert und kann ganze Bücher aus der Heiligen Schrift auswendig rezitieren. Aber dann war seine Schwester Maria, sein kleiner Liebling, an Scharlach gestorben, und der Priester weigerte sich, ein Gebet für ihre Seele zu sprechen, bevor man ihn dafür bezahlt hatte. Es kostete sie eine Kuh, um die Litanei laut und ganz schlicht vorlesen zu lassen – die gesungene Fassung hätte ihre Mittel bei Weitem überstiegen. Seine Eltern nahmen dies hin als den Lauf der Welt, aber Gotardo konnte seinen Abscheu nicht für sich behalten. Die Gesellschaft seiner Kühe war ihm lieber als die gespaltenen Zungen der Kirchenmänner.
    Gotardo weiß, dass seine Mutter, wann immer sie nach seiner Abreise über die Schwelle ihres Steinhauses tritt, den aus Holz geschnitzten heiligen Gotthard über dem Wassertrog berühren und zu seinem Namenspatron beten wird, damit er ihn beschützt, egal wie erschöpft sie ist, weil sie die getrockneten Kastanien gedroschen oder wie ein Maultier Ware zu den Landbewohnern geschleppt hat. Sie selbst hat nie einen Schritt über Locarno hinausgetan und Angst davor, er werde es seinen Brüdern gleichtun und im Ungewissen verschwinden. Seit drei Jahren sind sie ohne Nachricht von Aquilino oder Battista. Wann immer im Dorf ein Brief von den Goldfeldern eintrifft, eilen seine Eltern zum Marktplatz in der Hoffnung, dass darin auch von ihren Söhnen die Rede ist. Wären nicht Pliny und Celestina, ihre Cousins, die sie über das Treiben der Brüder auf dem Laufenden halten, müsste die Familie sie für tot halten. So viele sind gegangen, einige davon spurlos verschwunden, ein paar aber auch als reiche Männer zurückgekehrt, im Gepäck fantastische Geschichten von Flüssen aus Gold, Zeltstädten, die über Nacht auftauchen und wieder verschwinden, von Chinesen, denen lange schwarze Zöpfe über die Rücken hängen, von Nuggets, dicht unter der Oberfläche, die wie riesige Trüffel nur darauf warten, ausgegraben zu werden.
    Als die Ernte das zweite Jahr in Folge ausbleibt, weiß Gotardo, dass seine Zeit gekommen ist. Sein Vater verfügte nicht mehr über die Kraft, in den Süden zu gehen, um im Frühjahr Steine zu schlagen, und sie konnten sich die Weidepacht in Locarno nicht länger leisten. Und ohne die Winterweiden gab es kein Überleben für die Kühe. Die Ereignisse zwangen ihn dazu, aber insgeheim war Gotardo glücklich, weggehen zu können. Im Tal

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