Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Konstellationen und versucht – aus vielen Möglichkeiten – herauszufinden, welche rautenförmige Sternenformation das Kreuz des Südens darstellt. Gegen Abend beobachtet er gern die gelbköpfigen Vögel mit den breiten Schwingen, die immer häufiger zu sehen sind, da sie sich der Küste Australiens nähern, Vögel, die auf den Luftströmen über den Wellen reiten und in aufregenden Sturzflügen das Wasser streifen.
Während des Großteils der Reise war das Wetter gut, sodass keiner auf den Sturm vorbereitet ist, der sie in der Bass Strait erwartet. An Bord sind alle in Festlaune, weil sie wissen, dass es bald an Land gehen wird. Eine Kapelle spielt, und es wird gesungen und getanzt. Jubel bricht aus, als die Passagiere die blauen Gebilde am Horizont fälschlicherweise als Land deuten. Die Gebilde blähen sich auf wie Tumoren, der Himmel verfinstert sich, und Wind kommt auf, ein scharfer Südwind, der so heftig an den Segeln zerrt, dass man sie in großer Hast einziehen muss, manche davon in Fetzen. Gotardo taumelt nach unten, um nach seinem Vieh zu sehen, und schläft auf einem Strohhaufen ein.
Als er wach wird, ist der Sturm vorüber. Es ist Morgen. Von oben dringen Schreie und Pfiffe zu ihm. Er eilt an Deck, um sich den Massen anzuschließen, die sich an die eiserne Reling drücken, als die Great Britain in den Wald aus Masten, Schornsteinen und gerafften Segeln von Queen’s Wharf einfährt. Sein Blick fällt auf die schmutzigen Docks, über denen der widerliche Geruch von Seetang und verrottendem Fisch hängt, und weiter auf die düsteren eckigen Bauten der Stadt, und er kommt zu dem Schluss, dass er diese wohl nicht von ihrer besten Seite kennenlernt. Dies ist ein Hintereingang, der Lieferanteneingang, sagt er sich, wie die meisten Hafenbecken. Er sollte nicht vorschnell urteilen. Wie dumm von ihm zu erwarten, Melbourne werde Ähnlichkeit mit Locarno haben.
Gotardo steht auf der Landungsbrücke und wartet, bis die anderen Passagiere von Bord gegangen sind. Der Himmel ist bedeckt, aber die Wolken reißen auf, und er freut sich darauf, bald unterwegs zu sein. Sobald der Kapitän ihn dazu auffordert, wird er in den Frachtraum zurückkehren und sich der gefährlichen Aufgabe widmen, seine Kühe über die Laufplanke zu locken. Träger eilen los, um Gepäck zu den wartenden Droschken zu bringen, man hört Schreie und Begrüßungsrufe, Leute, die lachen, sich umarmen und weinen. Ganz in der Nähe hat sich ein kleines Mädchen in lavendelblauem Kleid und passendem Häubchen auf eine Hutschachtel gesetzt und jammert: »Ich will nach Hause!«
Gotardo genießt das emsige Treiben und bemerkt die beiden Männer nicht, die sich ihm nähern. Plötzlich stehen sie direkt vor ihm, ihre Gesichter halb verborgen hinter buschigen Bärten und unter verbeulten Hüten. Er wendet sich ihnen zu und nickt, verwundert, warum sie ihm so nahe kommen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, sagt er in seinem besten Englisch.
Die beiden Männer schauen sich an und lachen. Der größere, mit der gewaltigen Hakennase, die ihm vertraut vorkommt, knufft Gotardo gegen die Schulter und sagt im Dialekt: »Begrüßt man so seine Brüder?«
Gotardo sieht die Männer ungläubig an und vermag seinen Schock nicht zu verbergen. Seine Brüder waren schon immer raue Gesellen gewesen, aber in den Jahren, seit er sie zuletzt gesehen hat, hat diese Rauheit sich zu etwas viel Wilderem verfestigt, das sich nun in einem gefährlichen Funkeln im Weiß ihrer Augen verrät.
Er breitet seine Arme aus. »Aquilino! Battista! Ich glaub es nicht!«
Die Brüder lachen linkisch, klopfen ihm auf den Rücken und kratzen mit ihren bärtigen Gesichtern an seinen frisch rasierten Wangen. Während sie sich von ihm lösen, bemerkt Gotardo ihren musternden Blick auf seine Kleidung. Er trägt seinen Sonntagsstaat, seine seidene Weste und die Hose aus Serge, sogar seine Stiefel hat er poliert. Obwohl er mit seiner Herde bis zu den Goldfeldern noch fast hundert Kilometer zurücklegen muss, wollte er stilvoll an Land gehen, um dem neuen Menschen, den er in sich keimen spürt, auch äußerlich gerecht zu werden. Um einen Anfang zu machen.
»Der kleine Faun ist erwachsen geworden«, sagt Aquilino zu Battista.
»Möchte wohl den Damen imponieren«, schiebt Battista ironisierend nach.
Gotardo starrt auf seine polierten Stiefel. Er hat ganz vergessen, wie klein er sich immer neben seinen Brüdern fühlte. Und sie schaffen es auch jetzt wieder. Dazu dieser Spitzname. Als er klein war,
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