Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
nicht das Glück hatten, uns zu begegnen. Ihnen wird sicherlich aufgefallen sein, was für eine feine Stadt das ist, man ist sehr modebewusst und deshalb gibt es auch große Nachfrage nach meiner Ware.« Mit schwungvoller Bewegung deckt er die Plane ab, die seinen Wagen bedeckt, und gibt den Blick frei auf viele Regale, die von leuchtenden Seiden-, Samt- und Taftstoffen, Goldstickereien sowie spanischer Spitze überquellen.
Pflichtschuldig bedrängt Gotardo sie, sich ein neues Schultertuch oder eine Haube oder einen Hut mit Schleife zu kaufen, aber Jemma ist nicht in der Stimmung für Putz. »Ich möchte Kaliko«, sagt sie. »Für einen Kittel. Und Leinwand, aber ich glaube nicht, dass Sie gebleichte Leinwand verkaufen?«
»Das gehört nicht zu meinem Sortiment, Madam. Versuchen Sie es doch im Warenhaus Empire. Aber Ware dieser Qualität werden Sie in keinem Laden der Stadt finden können.«
»Haben Sie denn nichts für Kinder?«, fragt Gotardo.
»Leider nicht, Sir. Man schätzt mich wegen meiner Haute Couture . Nur die feinsten Stoffe und Schnitte, Seidenstrümpfe und Hauben à la mode . Doch meiner Erfahrung nach wünschen sich vornehme Damen nach ihrer Niederkunft ein neues Erscheinungsbild, um sich damit in der Gesellschaft einzubringen.«
Gotardo sieht Jemma zweifelnd an, deren Blick träumerisch zum Kegel des Mount Franklin schweift. Als der Hausierer erkennt, dass er ihr Interesse verloren hat, ändert er rasch seine Taktik. Erst letztes Jahr, vertraut er ihr an, sei er in die Hände des für seinen Charme berüchtigten Johnny Gilbert gefallen, der mit einer Wildlederhose, polierten Stiefeln und Gamaschen, mit hübscher Krawatte und einer mit Juwelen besetzten Weste aus Serge bekleidet war. Der Strauchdieb habe ihn nur um ein Paar Handschuhe aus Ziegenleder und einen seidenen Zylinder gebeten. Und habe, nachdem er die Ware des Hausierers begutachtet hatte, diesem bestätigt, dass er bessere Qualität biete, als man in Melbournes hervorragendem Modehaus von Buckley and Nunn finde.
Ein wenig belustigt erwidert Jemma lächelnd: »Was meinen Sie, wie groß sind die Chancen, einem solchen Schurken zu begegnen?«
»Der Mann ist tot, Madam. War jedoch, wie ich finde, durchaus ein Gentleman – gewissermaßen. Leider sind die meisten von ihnen bloße Banditen. Sie kennen weder Skrupel noch haben sie Geschmack.« Er erzählt ihr von einem vor kurzem erfolgten Überfall auf eine Frau mit einem kleinen Kind, die mit ihrem Zweisitzer zwischen Fryerstown und Castlemaine unterwegs war. Als ihr Fahrer von seinem Kutschbock heruntergestoßen wurde, nahm die Frau die Zügel in die Hand und versuchte, die Angreifer mit der Peitsche abzuwehren. Doch trotz all ihrer Bemühungen gelang es ihr nur für kurze Zeit, die Angreifer in Schach zu halten, und bald gewannen sie die Oberhand.
Jemma verspannt sich, weil sie an das Schicksal von Mrs. McQueen denken muss. »Und was geschah dann?«
Der Hausierer zupft an seinem Bart und wird ernst. »Ich glaube nicht, dass Madam das zu wissen wünscht.« Mit geübtem Griff zieht er aus seinem Wagen eine flache Zedernholzkiste und klappt den Deckel auf. »Wenn die Dame hingegen eine hiervon gehabt hätte, wäre es anders ausgegangen.«
In dem mit grünem Wollstoff ausgeschlagenen Kistchen liegt eine kleine Pistole mit einem mit Perlmutt verzierten Griff. Dazu eine Dose mit Zündhütchen, ein Pulverhorn mit Schießpulver, eine Flasche mit Waffenöl, sechs Bleikugeln und ein Laufschlüssel. »Höchst kompakt, finden Sie nicht auch? Die .45-kalibrige Einzelschusswaffe ist eine Spezialanfertigung für Damen. Ein deutsches Produkt. Ich habe dazu auch ein Halfter, das unter Ihre Jacke passt, ohne diese auch nur im Geringsten auszubeulen.«
Im Stillen verflucht Gotardo den Hausierer für seine Angstmacherei und will den Mann schon wegschicken, als Jemma, die noch nie zuvor eine Waffe gesehen hat, ihre Hand ausstreckt, um die fein gearbeitete Einlegearbeit aus Perlmutt zu berühren.
»Es ist beste Handwerksarbeit«, sagt sie zustimmend und legt ihre schlanken Finger um den Griff. »Ich hätte nie gedacht, dass eine tödliche Waffe so elegant sein kann. Auch nicht, dass sie so glatt in der Hand liegt.« Keine Waffe vermag die Geister zu bannen, die sie heimsuchen, und doch wäre es tröstlich, sie zu besitzen.
Sie wirft einen Blick auf ihren Ehemann, und für Gotardo steht sofort fest, dass sie beabsichtigt, diese Pistole zu kaufen. Würde er versuchen, sie ihr auszureden, würde sie das in
Weitere Kostenlose Bücher