Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
zu müssen, wie sie gelitten hatte und gestorben war. Jetzt aber bedrängen genau diese Gedanken sie und können nicht mehr verdrängt werden. Wie mag es gewesen sein, als du die Qualen der Geburt durchlittest, dein Kind in deinen Armen hieltst, wohl wissend, dass du es nie würdest heranwachsen sehen, weil dein Körper langsam alles Blut verlor? Jemma schloss die Augen, um ihre Tränen zu verbergen. Seltsam, wundert sie sich, Gefühle zu entdecken, von deren Vorhandensein sie gar nichts wusste. Sich nach der Mutter zu sehnen, die man nie gekannt hat, und nach dem mutterlosen Kind, das sie selbst gewesen ist, das Kind, das die Abwesenheit seiner Mutter immer als schlichte Tatsache des Lebens akzeptiert hat, ohne Sehnsucht nach ihr zu verspüren, weil es gar nicht wusste, was ihm fehlte.
Distanziert und leidenschaftslos spricht Doktor Trembath von der Menge des verlorenen Blutes, den Anzeichen des Missbrauchs, der Todeszeit. Der unvermittelte Schlag des Coroners mit seinem Hammer holt sie zurück in den Gerichtssaal, als der Gerichtsdiener das Ende der morgendlichen Sitzung verkündet. Langsam bahnt Jemma sich ihren Weg zur Tür und hängt dabei viel zu sehr ihren Gedanken nach, als sich um die missbilligenden Blicke zu kümmern, bis sie merkt, dass jemand sie anlächelt. Sie schaut auf. Es ist der Geologe Mr. Byrne. Er streckt seine Hand aus und entschuldigt sich, sie nicht eher erkannt zu haben. Sie spürt das Kind sich schneller bewegen. Er rückt näher und senkt seine Stimme. »Bravo, Madam. Bravo.«
Jemma schüttelt den Kopf. Wenn sie trotzig Widerstand leistet, dann nur, weil ihr keine andere Wahl bleibt.
18
Zwei Monate bevor das Kind kommen soll, erhält Gotardo endlich einen Brief von seinen Eltern. Sie hoffen, er sei glücklich mit seiner neuen Frau. Es tue ihnen unendlich leid, ihm mitteilen zu müssen, dass Felice gestorben sei. Obwohl ihr Zustand sich sehr verschlechtert habe, bald nachdem er das Tal verließ, habe sie noch fast zwei Jahre am Leben gehangen. Der letzte Winter im Tal sei sehr mild gewesen, und man habe weniger hungern müssen als zuvor. Sie seien dankbar für das Geld, das er ihnen schicke, und freuen sich schon auf den Tag ihres Wiedersehens. In ihrem vom Dorfbürgermeister geschriebenen Brief ließen seine Eltern unerwähnt, ob Felice starb, bevor oder nachdem der Brief eintraf, in dem er seine Hochzeit ankündigte. Doch die Erwähnung, wie lang sie durchhielt, legt für ihn nahe, dass ihr das Warten auf Nachricht von ihm Kraft gab, seine Neuigkeiten sie aber umbrachten. Heimlich hatte er von ihrem Tod geträumt, und sein Wunsch war in Erfüllung gegangen.
Den Weg vom Postamt über den Anstieg hoch zur Basaltsteinkirche, wo Gotardo jeden Sonntag den Gottesdienst besucht, hat er nie so steil empfunden. Er hat vor, zur Beichte zu gehen, bringt es aber im letzten Augenblick nicht über sich, mit dem Priester zu sprechen, der aus seinem Tal stammt und Felice noch als Kind kennt. Vater Rosetti ist nicht damit einverstanden, dass er mit Jemma den Bund der Ehe schließt, und die Tatsache, dass sie nie die Sonntagsmesse besucht, scheint ihm recht zu geben. Gotardo kniet im hinteren Teil der Kirche nieder, legt seinen Kopf auf die Bank vor ihm und bittet um Vergebung. Doch selbst wenn Gott ihm vergibt, weiß er nicht, ob er sich selbst verzeihen kann. Er ist ein Feigling. Er hätte Felice die Wahrheit sagen sollen, bevor er ging: dass er sie nicht heiraten werde, weil er nicht vorhabe, jemals zurückzukehren. Stattdessen hatte er sie warten und hoffen lassen und ihr dann mit dem grausamsten aller Schläge jegliche Hoffnung genommen. Seine Knie schmerzen auf dem harten Holzboden, aber er steht nicht auf. Er hat diesen Schmerz verdient.
Als Gotardo bei seiner Heimkehr das Tor entriegelt, hält ein Hausierer mit seinem Wagen an, streckt ihm seine fleischige Hand entgegen und beginnt mit seinem üblichen Geschwätz, wobei er sich scharfzüngig nach der Dame des Hauses erkundigt. Gotardo ist nicht in Plauderstimmung und grunzt nur hin und wieder, schafft es aber auch nicht, den Mann auf geschickte Weise abzuwimmeln. Widerstrebend ruft er Jemma herbei, die im Garten vor dem Haus die Rosen beschneidet. Als Jemma das Tor erreicht, zieht der Mann schwungvoll seinen Schlapphut.
»Meine besten Wünsche, Mrs. Voletta, zum bevorstehenden Ereignis«, sagt er und lässt sein Auge kritisch über ihr schmutzfleckiges Kleid wandern. »Sie werden zweifellos schon von mir gehört haben, wenngleich wir bisher
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