Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
ihrem Entschluss nur noch bestärken. Eine Ecke des gefalteten Briefs in seiner Tasche drückt sich wie ein Dorn in seinen Schenkel. Schon der bloße Gedanke daran bereitet ihm Übelkeit, und er weiß, dass er für sein Verhalten nicht länger einstehen kann. Den Kummer, der in seiner Brust aufsteigt.
»Dann nimm sie«, sagt er so gelassen wie möglich, wobei er jeglichen Gedanken daran verdrängt, warum seine Frau eine Waffe haben möchte.
Und so wird man handelseinig.
In späteren Jahren wird er sich daran erinnern, wie sie die Waffe in ihrer Hand wog und welch fiebrigen Ausdruck sie dabei in ihren Augen hatte.
19
Jemma liegt auf der Seite und starrt mit geöffneten, aber blinden Augen die Tapete an. In immer kürzer werdenden Intervallen biegt sich ihr Rücken durch wie der eines in die Enge getriebenen Tieres, und ihr ganzer Körper zittert vor Anstrengung, bevor sie auf ihre Matratze zurücksinkt und ungläubig keucht. Die Hebamme presst ihr ein Glas Tonic an die Lippen, während Celestina ihr die Hand drückt und ihr gut zuredet. Als der unsichtbare Stößel wieder in ihrem Kreuz zu bohren beginnt, versucht Jemma etwas zu sagen, bringt aber nur ein tiefes, halb ersticktes Stöhnen zustande. Monströs, sagt sie sich. Es ist monströs. All die verschämten Anspielungen der Leute, und doch hatte keiner sie gewarnt. Sie schleudert ihren Kopf ins Kissen und hat einen Moment lang Blickkontakt mit der Freundin, die neben ihr kniet, ehe der Schmerz ihr die Augen wieder verschließt. Die Hebamme fordert sie auf zu pressen, und sie presst mit aller Macht, aber irgendetwas stimmt nicht – sie ist sich sicher, dass das Kind festsitzt. Genau, wie sie es befürchtet hat: Es wird nicht geboren werden, sondern tot zur Welt kommen. Sie hat es draußen auf den Feldern gesehen, es läuft hin und wieder schief. Sie erinnert sich an den Kopf eines Kalbs, der aus dem Hinterteil des vor Schmerz brüllenden Muttertiers herausragt und um den Gotardo eine Schlinge legt.
Draußen im Flur flucht Gotardo in wütenden Dialektausbrüchen auf die abwesenden Ärzte und schimpft auf Gott. Seine Hilflosigkeit entsetzt ihn. Er hat mehr Kälbern auf die Welt verholfen, als er zählen kann, aber für seine Frau kann er nichts tun. Die Tür zu Jemmas Bettkammer fliegt auf, und die Hebamme steckt ihren hochroten Kopf durch die Tür. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt ihm, er solle sich zusammenreißen, wenn er seiner Frau keinen Kummer bereiten will. Weil ihm das Warten unerträglich ist, macht sich Gotardo auf den Weg in die Stadt, um einen Arzt zu finden, und droht, diesen notfalls an den Haaren herzuschleifen.
Als Dr. Trembarth endlich mit dem Chloroform und der Geburtszange eintrifft, schlägt Jemma in ihrem Delirium wild um sich, ohne sich darum zu kümmern, was mit ihrem Kind passiert. Sie inhaliert tief und gleitet sehnsüchtig ins Vergessen ab. Eine Stunde später wird sie ruckartig vom Schreien ihres Kindes wach, das gewickelt in seinem Kinderbett liegt. Der gequälte Schrei zehrt an ihren Eingeweiden, als wäre die Nabelschnur noch nicht durchtrennt. Jemma dreht den Kopf, um sein fleckiges Gesicht, seinen schluckenden Mund und das dunkle Haarbüschel zu betrachten, und kann es nicht glauben, dass sie beide überlebt haben. Ihre Erleichterung ist so groß, dass sie dem Schmerz, der vom Unterleib aus einschießt, keine Bedeutung beimisst. Mithilfe von Celestina, die während der ganzen Zeit an ihrem Bett gesessen hat, setzt sie sich, von Kissen gestützt, auf und bekommt dann von ihr das Kind aus dem Bettchen gereicht.
»Ein Mädchen«, sagt sie.
Jemma untersucht die winkenden Händchen des Kindes. In einem ihrer Träume hatte sie entdeckt, dass sie sechs Zehen am Fuß hatte, was den Klatsch bestätigte, der behauptete, sie habe was Unnatürliches an sich. Doch wunderbarerweise ist ihr Kind perfekt, nichts deutet auf die Fehler seiner Mutter hin. Winzige Finger umschließen ihren Finger mit wildem Griff, bis irgendwo im Haus eine Tür zuschlägt und die Ärmchen des Kindes durch die erschreckende Leere sausen, die es umgibt. Jemma hebt ihre Tochter an ihre pralle weiße Brust. Zu ihrem Erstaunen scheint das Baby zu wissen, was es tun muss, und saugt sich an der Brustwarze fest, als hätte es sein ganzes kurzes Leben auf diesen Moment gewartet.
Während das Kind trinkt, schläft Jemma immer wieder ein. Als sie wach wird, liegt das Kind schlafend in ihrer Armbeuge, und Celestina ist gegangen. Jemma studiert das Gesicht des
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