Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
trennt.
Als sie das aus Basaltstein erbaute Gerichtsgebäude betritt, ist sie sich sehr wohl des Raunens bewusst, das durch die Menge geht. Sie findet einen Platz in der hintersten Reihe der Besuchergalerie neben Mrs. Bruhn vom Coffee Palace, die ihr zur Begrüßung zunickt und ihren Blick über Jemmas Leibesfülle wandern lässt. Kurz bevor sich das Gericht erhebt, sieht sie den Geologen Mr. Byrne durch die Tür schlüpfen und nach einem Platz Ausschau halten. Er deutet fragend auf den leeren Platz an ihrer Seite. Jemma zieht die losen Falten ihres Rocks dicht an ihren Körper, um ihm Platz zu machen, und glaubt in seinen Augen einen Anflug von Erschrecken zu entdecken, als er ihres Umfangs gewahr wird.
Durch die Seitentür treten zwei Polizisten ein, wovon einer Marcus O’Brien ist. Dankbar vergewissert Jemma sich, dass sie von ihm nicht gesehen werden kann, auch nicht, wenn er in ihre Richtung schauen und seinen Hals recken würde. Das Risiko hierherzukommen war ihr bekannt, doch sie hatte nicht vor, den Rest ihres Lebens in Angst vor Marcus O’Brien oder jemand anderem zuzubringen.
Vorne im Gerichtssaal beginnt der Coroner mit seinem Vortrag über das Schicksal der achtzehnjährigen Irin Mrs. Lillian McQueen, die von ihrem Ehemann Geo McQueen nach seiner Rückkehr von der Excelsior C. Mine mit fünf tiefen Stichwunden in ihrer Kehle auf ihrem Bett liegend aufgefunden worden war. Als er die Ereignisse dieser Nacht skizziert hat, wendet er sich an die Publikumsgalerie und verkündet feierlich, er müsse nun den beiden Ärzten, Fullerton und Trembath, die am Tatort waren, ein paar sondierende und unziemliche Fragen stellen. Er werde außerdem dem Gericht Fotos vorlegen, die Thomas Feehan von der Wombat Hill Gallery angefertigt habe, nachdem er von der Polizei gebeten wurde, die Einzelheiten des Verbrechens festzuhalten.
»Die hier vorliegenden Beweise sind grässlich bis zum Äußersten«, betont er. »Ich bin der festen Meinung, dass jede Frau, die Wert auf ihren Charakter legt, das Gericht verlassen sollte.«
Es folgen hörbare Seufzer der Enttäuschung, und viele Lippen werden geschürzt. Die stämmige Mrs. Prohaskey, Barfrau im Athens, räuspert sich missbilligend. Doch in ihrem Beruf hat sie mehr Sensibilität als andere für öffentliche Schmach entwickelt und protestiert nicht. Die Männer erheben sich, während die Frauen zögernd ihre Plätze verlassen. Es dauert einige Zeit, bis das Rascheln der Krinolinen aufhört. Die Tür schließt sich hinter den sich entfernenden Damen, und Coroner Drummond will gerade anfangen, als sein Blick auf die Galerie fällt. Jemma spürt seine auf sie gerichteten Augen, die über seinen Brillenrand spähen. Sie starrt geradeaus, während das Baby in ihr wild drauflosstrampelt. Die Männer um sie herum hantieren mit ihren Taschenuhren und räuspern sich. Draußen auf den Goldfeldern hat sie schon so viel Grässliches gesehen, dass sie nicht einsehen will, warum sie oder die anderen Frauen ausgeschlossen sein sollten, sich Fakten anzuhören, die bereits in den Zeitungen breit ausgewalzt worden waren. Es ist doch absurd, ereifert sie sich, dass Frauen die Gewalt und den Schmerz der Geburt mit allen damit verbundenen Gefahren und Schrecken aushalten, dann aber zur Wahrung ihres guten Rufs so tun sollen, als würden sie bei der Erwähnung oder beim Anblick von Blut in Ohnmacht fallen.
Als der Coroner erkennt, dass man sie wohl nicht zum Gehen bewegen kann, murmelt er etwas in seinen Bart und ruft dann, da er offenbar kein Aufheben davon machen will, die beiden Ärzte in den Zeugenstand. Trotz ihrer Entschlossenheit, im Gerichtssaal zu bleiben, bekommt Jemma ihre Aussagen kaum mit, denn ihre Gedanken haben sich nun wie die Reifen eines Karrens auf sumpfiger Strecke festgefahren und drehen sich nur noch um die näher rückende Geburt. Sie muss an ihre Mutter denken, diese Fremde auf dem Porträt, das einst über dem Kaminsims im Salon des Hauses hing, in dem sie aufgewachsen ist, und das jetzt seinen Platz in ihrem Schlafzimmer gefunden hat und sie daran erinnert, nicht mutterlos zu sein. Sie teilt mit dieser Frau die Stupsnase und die halbmondförmigen Augen, das asymmetrische Lächeln.
Wenn sie an ihre Mutter dachte, löste das immer eine abstrakte Zuneigung aus, jedoch eher mittelbar für das heilige Objekt der Verehrung ihres Vaters als für die Frau selbst. Diese Betrachtungsweise erlaubte Jemma, an ihre Mutter nicht als eine Frau aus Fleisch und Blut und daran denken
Weitere Kostenlose Bücher