Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
darauf erscheint dieser wie ein Schatten seiner selbst in der Küchentür, unrasiert und ausgelaugt. Er setzt sich und starrt mit leerem Blick auf Sergeant O’Brien, während Celestina sich im Hintergrund hält. Das Verhör ist kurz, beinahe nachlässig. Dann darf Gotardo wieder zu seinen weinenden Verwandten ins Wohnzimmer zurückkehren. Celestina würde ihn nur zu gern begleiten und mit ihnen trauern, aber Jemma zuliebe kann sie das nicht tun. Die Trauergäste können es nicht verstehen, warum Celestina sich weigert, sich zu ihnen zu gesellen, warum sie ihr Leid nicht teilen will. Warum sie keine Tränen vergießt. Warum sie nicht schwarz trägt. Selbst Pliny und Marina, die sie kennen und lieben, sind erstaunt darüber. Ihrer Meinung nach stimmt etwas nicht, wenn eine Mutter nicht um ihr Kind weint. Und auch Celestina muss gegen die Dämonen des Zweifels ankämpfen, wenn sie sich daran erinnert, wie verhalten Jemma reagierte, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, an ihre Andeutungen, diese beenden zu wollen, wenn sie könnte.
Celestina nimmt einen Tiegel und haut damit auf den Küchentisch, als wäre er ein Richterhammer und als wollte sie sich damit zur Räson bringen. Wie kann sie nur derartige Gedanken zulassen, obwohl sie genau weiß, wie sehr Jemma dieses Kind geliebt hat? Wenn schon Jemmas Familie auf diese Weise denkt und redet, wie soll man da noch hoffen? Sie weiß, was die Leute in der Stadt reden. Es geht das Gerücht um, Jemma habe eine Affäre mit Nathaniel Byrne. Das war Celestina schon vorher zu Ohren gekommen, jetzt dagegen hat die Geschichte aber Ausschmückungen erfahren, die an Absurdität nicht zu überbieten sind. Es heißt, sie habe ihren Mann und ihr Kind an dem Tag, als das Feuer ausbrach, in der Absicht mit in den Busch genommen, sie beide umzubringen und dort zu verstecken, das Buschfeuer und Harriet Farmer hätten jedoch ihre Pläne vereitelt. Und man hatte auch nicht vergessen, wie sie das Kind skizziert hatte, das fast in einen Minenschacht gestürzt wäre. Einer Frau, die so gefühllos ist, so etwas zu tun, traut man auch zu, dass sie ihr eigenes Kind umbringt. Das sagen die Leute. Voller Entsetzen malt sie sich aus, was sie erst denken werden. Welche Abgründe an Boshaftigkeit und Engstirnigkeit sich angesichts dieser Tragödie auftun. Wie bereitwillig sie gleich das Schlimmste annehmen. Und doch kennt sie diesen Impuls wie alle anderen nur zu gut.
Celestina teilt O’Brien mit, dass Jemma sich weigere, ihr Atelier zu verlassen, wo sie sich aufhalte, seit man Lucys Leiche weggebracht hatte.
O’Brien zuckt die Achseln. »Das lässt sich leicht lösen.«
Obwohl er sagt, er kenne den Weg, besteht Celestina darauf, ihn zum Atelier zu begleiten. Sie zieht ihre Rückkehr solange es geht hinaus, bis O’Brien ihr zu verstehen gibt, sich zu entfernen. Auf dem Rückweg zum Haus hört sie ihn an die Tür klopfen und fast zärtlich sagen: »Ich bin es, Jemma. Darf ich reinkommen?«
Jemma findet keinen Schlaf, ihre Gedanken brennen wie heiße Kohlen. Es gab Momente während der Nacht, da hatte sie mit offenen Augen geträumt und halluziniert, eine kleine, verbrannte Gestalt in Fötushaltung in ihrer Handfläche zu halten. Sie hatte etwas Menschliches, hätte aber auch eine monströse schwarze dicke Bohne sein können. Und da kam ihr die Idee, diese könne, wenn sie sie einpflanze, austreiben und dem Himmel entgegenwachsen wie Jacks Bohnenstängel – wie in der Geschichte, die sie gerade erst Lucy vorgelesen hatte –, und sie selbst könnte dann an diesem Bohnenstängel hochklettern und Lucy in einem märchenhaften Königreich in den Wolken wiederfinden. Vielleicht schläft sie tatsächlich. Wenn es nur so wäre. Wenn sie doch nur aufwachte.
Sie erhebt sich von dem harten Fliesenboden ihres Ateliers, auf dem sie gelegen hat, und tritt mit nunmehr wachem Verstand ans Fenster, von wo aus man den Wald von Wombat Hill sieht. Es ist früher Morgen, die Sterne sind noch am Himmel zu sehen. In ihrem weißen Nachthemd verfolgt sie, wie vor ihr der Tag langsam Kontur annimmt, wie eine Fotografie in einer Lösung. Aus einer dunklen Masse treten die einzelnen Baumstämme hervor, aus dichten Klumpen die sichelförmigen Blätter. Auf dem von Tau bedeckten Boden jeder einzelne Grashalm. Sie steht so lange auf ihrem Platz, bis sie zu schwanken beginnt und einen Stuhl finden muss, bevor sie umfällt. Eigentlich hatte sie erwartet, es würde für immer Nacht bleiben, denn wie konnte die Welt sich
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