Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
sie, dass sie das nicht erträgt, nicht dabeistehen und zusehen kann, wie es geschieht. Gotardo wird ohne sie besser dran sein, ohne all das Leid, das sie ihm bescheren wird. Lieber soll man sie für eine Mörderin halten, als dass sie jeden Morgen in der nachhallenden Stille ihres Schlafzimmers, ihres Hauses aufwachen und im Gesicht ihres Mannes ihren Kummer gespiegelt sehen muss. Ohne ihre Lucy werden sie einander gewiss in Stücke reißen. Selbst wenn O’Brien sie nicht ins Gefängnis stecken sollte, wird ihr dieses Haus mit seinen Erinnerungen ein Gefängnis sein. Und wird weiterhin mit den Anschuldigungen und O’Brien leben müssen, der ihr auf Schritt und Tritt folgt.
Nathaniel sagte, er werde am Vormittag zurückkommen, und sie zweifelt nicht daran, dass er es tut. Sie muss sich fertig machen. Und es ist eine Erleichterung, sich mit etwas zu beschäftigen. Sie wird sich waschen, anziehen und eine kleine Tasche packen. Sie wird für Gotardo eine Nachricht schreiben, aber sie wird nicht versuchen, ihm zu erklären, warum sie geht. Wozu auch? Entweder versteht er sie oder nicht. Es geht nicht um eine Entscheidung zwischen ihm und Nathaniel. Wenn sie nicht verrückt werden möchte, muss sie gehen.
Eine Stunde später klopft Nathaniel wie versprochen drei Mal am vorderen Fenster. Er hat ein Pferd gesattelt und wartet. Wortlos nimmt er ihre Tasche. Sie steigt mit ihrem Stiefel in den Steigbügel und schwingt sich selbst aufs Pferd. Der Regen hat nachgelassen, aber es nieselt noch ausreichend, um ihre Spuren zu verwischen. Sie schlagen den Weg ein, der von der Stadt weg in den Wald führt.
Teil III
31
Auf einem Schaufelraddampfer, der stampfend von Melbourne aus über die Port Phillip Bay zum Ferienort Settlers Cove unterwegs ist, schmiegen sich zwei frisch Vermählte aneinander, wobei sie ihre Hüte festhalten müssen, damit der Wind sie nicht wegreißt. Es ist ein schöner Frühherbsttag, nur ein paar hohe Zirruswolken erstrecken sich über den endlosen Himmel. Am Geländer des Oberdecks lehnt ein Mann mittleren Alters in einer türkisfarbenen Weste, pafft eine Zigarre und lässt seinen Blick auf das Flitterwochenpaar fallen. Beobachtet, wie der Mann seinen Arm um seine Frau legt und sie an sich zieht, sieht, wie sie zu ihm aufblickt, ihre Augen feucht von Tränen, die nur Freudentränen sein können. Sie sind dezent gekleidet, nichts an ihnen erweckt ungebührliche Aufmerksamkeit. Der Mann küsst keusch die Stirn seiner Frau, die Frau trocknet ihre Tränen mit einem Taschentuch, und sie setzen ihren Spaziergang über das Deck mit den vielen Tagesgästen fort, die es für die letzten Tage der Saison an die Küste zieht.
Doch gleich darauf hat der Zigarre rauchende Mann die frisch Vermählten schon wieder vergessen, denn sein Blick wird jetzt von einem weitaus modischeren Quartett angezogen, zu dem zwei Frauen mit derart eng geschnürten Taillen gehören, dass sie sich kaum bücken können, sowie zwei gut gekleideten Männern mit Seidenkrawatten, die an Deck ein Wurfringspiel spielen. Würde der Mann mit der Zigarre in der Zeitung über eine Frau lesen, die verdächtigt wird, ihr Kind umgebracht zu haben und mit ihrem Liebhaber vom Tatort geflohen zu sein, hätte er keinen Grund, auch nur einen Gedanken an die Frischvermählten zu verschwenden, die ihm an diesem Herbstmorgen auf dem Deck der Hygeia kurz aufgefallen waren.
Sie haben jetzt die Mitte der Bucht erreicht, einer Wasserfläche, soweit das Auge reicht. Jemma tritt an die Reling und blickt hinunter in das schäumende Nass, das sie so lange anstarrt, dass Nathaniel sie besorgt, was ihr dabei womöglich durch den Kopf geht, wegziehen muss. Sie setzen sich auf eine Holzbank, wo sie von der Gischt geschützt sind, und verfolgen, wie am Horizont langsam Land auftaucht und sich von einer fernen Wolke zu ockerfarbenen Klippen und Häusern aus Kalkstein verfestigt, die mit ihren sich über zwei Geschosse erstreckenden Gusseisenbalkonen über dem Teebaumgestrüpp zu schweben scheinen. Als sie am Pier von Settlers Cove vor Anker gehen, eilen Träger in schicken Uniformen von den großen Hotels mit Blick auf die Bucht herbei und bieten ihnen an, sie in Droschken und Wagonetten hinauf in die Hügel zu fahren. Weil sie die Anonymität der von Pferden gezogenen Trambahn vorziehen, schließen sie sich dem allgemeinen Gedrängel an und steigen im Royal Hotel ab, wo sie sich als Mr. und Mrs. Jonathan Wright eintragen.
Nachdem sie ihr Zimmer im zweiten Stock
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