Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
fand er ihn liebevoll. Und vielleicht war er das auch gewesen, denn schließlich waren seine erstaunt dreinblickenden braunen Augen mit den langen Wimpern der Anlass dafür gewesen. Aber als er älter und gelehrter wurde – größenwahnsinnig, wie seine Brüder dachten –, ließen sie keinen Zweifel mehr daran, dass dieser Name ein Spottname war. In ihren Augen war er nur ein halber Mann. Es gab eine Zeit, da hatte Aquilino als der Älteste es sich zur Aufgabe gemacht, seinem kleinen Bruder Dinge beizubringen, die ein Junge seiner Meinung nach wissen sollte: wie man Wildgänse schoss, wie man ein Nachtigallennest ausraubte, wie man ein Eichhörnchen häutete. Doch Gotardo war mit so viel Widerwillen an die Sache herangegangen, dass Aquilino angewidert aufgegeben hatte. Battista erwies sich als ein weitaus begeisterungsfähigerer Komplize. Und danach gaben seine Brüder es auf, ihn in ihre Abenteuer oder Spiele mit einzubeziehen.
Aber jetzt sind sie erwachsen, sagt Gotardo sich. Es muss nicht mehr so sein wie früher. »Schön, dass ihr gekommen seid.«
Aquilino meint achselzuckend: »Wir hatten in der Stadt zu tun.« Erst heute Morgen ist ihnen, nachdem sie sich erkundigt haben, klar geworden, dass Gotardos Schiff geankert hat.
Die Brüder stehen mit ihren Hüten in den Händen da und sehen sich am Kai um. Gotardo hätte sich gern nach ihren Geschäften erkundigt, aber da Aquilino nicht von selbst darauf zu sprechen kommt, traut er sich nicht. Er hat immer schon ziemliche Angst vor ihnen gehabt. Drei lange Jahre des Schweigens hängen zwischen ihnen. Er möchte sie fragen, warum sie nicht geschrieben haben. Möchte ihnen sagen, wie besorgt die Eltern gewesen waren. Möchte herausfinden, was sie getan haben und wie es ihnen bei ihrer Goldsuche ergangen war. Plinys Briefe gaben darüber kaum Aufschluss. Er schrieb nur, Aquilino und Battista hätten Anteile an einer Mine in Wombat Hill, tranken und spielten gern, blieben unter sich.
Battista spuckt auf den Stein zu seinen Füßen und blinzelt grimmig in die Sonne. Aquilino bewegt sich unruhig am Platz und schielt dabei gelegentlich auf Battista, als wollte er ihn anstacheln, doch etwas zu sagen.
»Dann geht es Mama und Papa gut?«, erkundigt sich Battista schließlich.
»Den Umständen entsprechend ja.«
»Und haben sie dir was mitgegeben? Für uns?«
Gotardos Mut sinkt. Das ist also der Grund, weshalb sie gekommen sind. Sie brauchen Geld. »Nur ihre Liebe.«
»Aha?«, platzt es aus Aquilino heraus. »Aber du bist mit der ganzen Herde gekommen? Als Battista und ich hier eintrafen, weißt du, was wir da zusammen hatten? Fünf Pfund! Alles, was wir haben, haben wir aus dieser harten verdammten Erde gebuddelt und gekratzt.« Sein Stiefel schlägt gegen das Steinpflaster.
Gotardo schämt sich. Es ist wahr. Seine Brüder hatten es immer schwerer als er. Weil er der Gelehrige war, blieb er auf der Schule, während seine Brüder mit dem Vater zum Steineschlagen in den Süden gingen. Wegen seiner Gelehrsamkeit fügten seine Eltern sich ihm, wie sie das bei seinen Brüdern nie getan hatten. Und jetzt ist er mit dem wertvollsten Familienbesitz hier eingetroffen, einer gebrauchsfertigen Einnahmequelle. Kein Wunder, dass Aquilino und Battista wütend sind. Und dennoch steht es ihnen doch wohl nicht zu, überrascht zu sein, nachdem sie drei Jahre lang kein Wort von sich haben hören lassen?
»Wir können doch den Hof zusammen führen?«, schlägt er vor, obwohl er weiß, dass dieses Angebot zu gering ist und zu spät kommt. »Wenn er was abwirft, werdet ihr euren Anteil bekommen.«
Aber seine Brüder haben das Interesse verloren. Schon als Knaben hatten sie keinen Gefallen daran gefunden, die Kühe zu melken, sondern hatten sich viel lieber auf den Hängen herumgetrieben, um zu jagen oder zu fischen oder Bäume zu schlagen. Plötzlich erinnert er sich an ihre Abschiedsworte, ehe sie das Dorf verließen. »Pass auf und lass nicht zu, dass du wegen dieses Priesters eine weiche Birne kriegst«, war das Letzte, was Aquilino zu ihm gesagt hatte. Battista hatte daraufhin was von zu spät gebrummelt.
»Vergiss es, kleiner Faun. Wir kommen schon allein zurecht«, erwidert Aquilino.
Sie haben ihren Standpunkt klargemacht und wollen jetzt nichts wie weg. Gotardo muss akzeptieren, dass sie ihn immer verachten werden. Daran ändern auch die verstrichenen Jahre und ein neues Land nichts. Es ist eins jener ehernen Gesetze, deren verheerende Kraft der Stoff für Mythen ist.
Mit
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