Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
Mr. Coombs. »Sie brauchen ein wenig Schwung, damit Sie nicht auf die eine oder andere Seite kippen.«
Nathaniel meldet sich, als er so weit ist, und Mr. Coombs schiebt ihn an, sodass er die Hauptstraße hinunterrollt. In den ersten paar Sekunden sieht es ganz danach aus, als wäre es leichter, als er sich das vorgestellt hatte. Alles läuft ganz rund, bis er über einen kleinen Hubbel in der Straße fährt und der Vorderreifen zu wackeln anfängt. Obwohl er die Lenkstange mit festem Griff hält, kippt das Gefährt um und wirft ihn in den Straßengraben. Als er sich von dem auf ihm liegenden Fahrrad befreit und sich müht, wieder auf die Beine zu kommen, hat er das gleiche Gefühl wie nach einer Bootsfahrt, wenn sich einem die Erde unter den Füßen wegzieht.
»Ich hätte Sie noch darauf aufmerksam machen sollen«, sagt Mr. Coombs, der herbeigeeilt ist, um ihm beim Abbürsten zu helfen, »dass man ein paar Versuche braucht, ehe man den Dreh raushat.«
Eine halbe Stunde später saust Nathaniel, dem der Fahrtwind ins Gesicht weht, die Straße entlang, die nach Red Ridge führt. Vermutlich ist er genauso schnell unterwegs wie auf dem Pferd, und doch ist die Empfindung eine gänzlich andere. Ein berauschendes Gefühl von Freiheit, als würde man wie ein Vogel herabstürzen und dahingleiten, sich der Zukunft mit stromlinienförmiger, pfeilartiger Gewissheit entgegenschleudern, sodass er sich eine Zeit vorstellen kann, da es dem Menschen möglich ist, eine Maschine zu erfinden, die fliegen kann. Die grünen Hügel und die Kühe blitzen schemenhaft auf. Sein Gesicht ist ein einziges breites Grinsen. Er kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so viel Spaß gehabt hat. Und er stellt sich Jemma vor, die an seiner Stelle die Straße hinunter auf ihn zustürmt, die Augen groß vor Schreck und Entzücken, wobei der Schrecken mit wachsender Sicherheit nachlässt. Er malt sich aus, wie sie sich dem Gefühl des Fliegens ausliefert und dann, wenn es vorbei ist, sich schwindelig in seine Arme wirft und wie ein Kind lacht.
37
Sie entdecken ihn im Fluss, der in der Farbe von Tee an der Honeysuckle Beach ins Meer mündet. Einen kleinen Vogel, der nicht fliegen kann und Flossen anstatt Flügel hat, am Rücken Federn in dunklem Schieferblau, der Bauch glänzend weiß. Nichts deutet auf eine Verletzung hin, alles ist perfekt, unberührt. Auf Jemma wirkt er wie ein weiches Stofftier, wie Kinder es zum Kuscheln mit ins Bett nehmen.
Sie wartet auf Henry, der noch über den Sand läuft. »Weißt du, was das ist?«
Er kniet sich neben sie, um ihn zu untersuchen, und berührt sanft den Kopf des Vogels. »Ein Zwergpinguin von der Insel.« Da sie sich auf einer ihrer naturkundlichen Expeditionen befinden, ergänzt er pflichtschuldig: » Eudyptula minor . Das habe ich nachgeschlagen.«
Henry hat von diesen kleinen Pinguinen gehört, weil die Robbenfänger manchmal von der Insel herüberkommen, um sich Vorräte zu beschaffen. Er weiß, dass sie den Tag damit zubringen, nach Nahrung zu tauchen und dann an den Strand zurückkehren, um in den Sanddünen zu nisten. Die Robbenfänger haben ihm erzählt, dass sie die Pinguine auf dem Wasser vorbeitreiben sehen, die oft aussehen, als wären sie tot, obwohl sie nur ein Nickerchen machen. Und dass es ein wahnsinnig komischer Anblick sei, wenn diese kleinen Vögel bei Sonnenuntergang zu Hunderten aus dem Wasser hinauf zum Strand watscheln und dabei einen unglaublichen Lärm veranstalten. Aber lebend hat Henry nie einen gesehen, nur die, die angespült wurden.
»Papa hat mir versprochen, an meinem vierzehnten Geburtstag mit mir dorthin zu fahren.«
Seit Dr. Leasks letztem Besuch war ein Monat verstrichen. Jemma hofft, dass Leask sein Versprechen einlöst, weiß aber, dass Henry schon öfter enttäuscht worden war. In den vergangenen drei Monaten hat Leask Red Ridge nur zwei Mal besucht und war jedes Mal nur eine Nacht geblieben. Seine Frau Amalia war erst einmal mitgekommen. Henry sagt, es gefalle ihr nicht am Meer. Und was Dr. Leask betrifft, scheint er im Krankenhaus von Melbourne unabkömmlich zu sein, sodass er unmöglich länger bleiben kann. Jemma zweifelt nicht daran, dass der Arzt sehr gefragt ist. Aber sie hat von seinem Verhältnis zu seinem Sohn genug mitbekommen, um die Gewissheit zu haben, dass er den Jungen liebt. Doch Henry scheint etwas an sich zu haben, was den Vater zutiefst beunruhigt, weshalb dieser auch jedes Mal sichtbar erleichtert die Heimreise antritt.
Ziel ihrer
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