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Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fiona Capp
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Reisenden mehr begegnet. Die Sonne steht schon tief am Himmel, als sie in eine lang gezogene Einfahrt einbiegen, die von einem Regiment von Zypressengewächsen flankiert wird. Müde trotten die Pferde den Hügel hinauf. Ein roter Ziegelturm ragt aus den Baumwipfeln heraus, und bald schon sehen Jemma und Nathaniel ein großes Gehöft, umgeben von einer breiten Veranda mit Kletterrosen und Schmuckranken.
    Als sie aus der Kutsche steigen, werden sie von einem jungen Mann mit hellblondem Haar begrüßt, der eifrig, aber zögerlich mit ausgestreckter Hand auf sie zugeschritten kommt. Seine Wangen sind fiebrig gerötet. Begleitet wird er von einem Beagle, der sie wie ein Fass auf Beinen angrinst. Gezaust von der Meeresbrise stehen sie da, während der dreizehnjährige Henry Leask pflichtschuldig seiner Rolle als Hausherr gerecht wird und sie den vier anderen Bediensteten vorstellt: Mrs. Croad, der Haushälterin; Lizzy, Köchin und Hausmädchen, Jaspers, dem Gärtner und Dyson, dem Kutscher und Stallknecht, den sie bereits kennengelernt haben. Wenn sie möchten, können sie im Häuschen wohnen – er zeigt auf ein hübsches Gebäude aus Kalkstein und roten Ziegeln im hinteren Teil des Gartens – oder eins der großen Schlafzimmer oben im Haus beziehen.
    Henry weist Dyson an, die zwei kleinen Koffer der Wrights aus der Kutsche zu holen. Unschlüssig, was er tun soll, streichelt er den Kopf des Hundes. »Wie konnte ich das vergessen?«, lacht er. »Und das ist Astor!«
    Er ist noch ein Kind, sagt sich Jemma. Und würde ihm am liebsten über sein wolkenfarbenes Haar streichen, wie er das bei seinem Hund macht. Stattdessen geht sie neben Astor in die Hocke und liebkost seine seidigen Ohren. »Der ist bestimmt ein guter Freund!«
    Henry erklärt ihr, sein Vater habe ihn für die Kängurujagd gekauft, doch er sei jedes Mal, wenn Dr. Leask ihn mit auf die Jagd genommen habe, von dem Rudel weggelaufen und nach Hause gegangen. Wenn sein Vater dann Stunden später zurückgekommen sei, habe er Astor zusammengerollt zu Henrys Füßen vor dem Kamin angetroffen, wo er sich schlafend stellte.
    Henry begleitet sie ins Haus. Beim Eintreten fällt Jemma das bemalte Glas ins Auge, das die Eingangstür umgibt, und sie bleibt stehen, um die Landschaftsskizzen zu betrachten – einen Leuchtturm, ein Fischerboot, langbeinige Vögel, die pickend durchs Schlickwatt waten. Sie sind mit leichter Hand und beeindruckender Technik gemalt. Sie fragt ihn nach dem Künstler.
    »Meine Mutter«, antwortet er leise. »Sie starb letztes Jahr an Schwindsucht.«
    »Aber dein Vater sagt, er und seine Frau würden …«
    »Das ist meine Stiefmutter. Sie kommt nicht oft hierher.«
    Er führt sie über einen Flur ins Wohnzimmer, wo zwei große Erkerfenster den Blick auf eine Rasenfläche freigeben, die abrupt am Rand einer Klippe endet. Ein paar letzte Sonnenstrahlen fallen schräg durch die Wolken und tauchen die Bucht in silbriges Gold. Ein paar Kilometer von der Küste entfernt können sie die dunklen Umrisse einer Insel erkennen, gesäumt von Gischt.
    Henry steht versunken am Fenster. »Hier kann man vergessen, dass der Rest der Welt existiert, und das ist das Beste an Red Ridge.« Etwas im Ton seiner Stimme verleitet Jemma, sich den Bruchteil einer Sekunde lang zu fragen, ob er sie nicht erkannt hat.
    Dann dreht er sich um und meint fast flehend: »Es gefällt Ihnen hier doch? Sie werden doch bleiben?«

35
    Eine Zeit lang scheint es, als habe Henry recht. Dass es möglich sein könnte, den Rest der Welt zu vergessen.
    Als Jemma am nächsten Morgen die Vorhänge ihres Schlafzimmers aufzieht, hat sich zwischen das Haus und die Welt ein Schleier gelegt. Sie kann weder die Insel noch die Bucht oder den Garten sehen. Nichts, nur Dunst in geisterhaftem Weiß. Der dichte Nebel hält sich bis zum frühen Nachmittag, doch als es aufklart, öffnet sich kein strahlend blauer Himmel, wie das nach Nebel sonst der Fall ist. Stattdessen zieht er sich zurück und lässt ein niedriges Dach fester Bewölkung direkt über ihren Köpfen zurück. Dahinter kann sie die grellweiße Scheibe der Sonne sehen und möchte nur noch hineinstarren und diesen verbotenen Anblick in sich aufnehmen.
    Der Alltag im Haus folgt den von Mrs. Croad aufgestellten Regeln, die in Red Ridge als Haushälterin tätig ist, seit dieses vor zwanzig Jahren erbaut wurde. Frühstück um acht Uhr, Lunch um die Mittagszeit, Nachmittagstee um vier und Abendessen um sieben Uhr. Solange sie sich an diese Zeiten

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