Sehnsucht und Erfüllung
verändert. Es roch sogar anders, obwohl Shane wegen der Wildkatzen auf Aftershave verzichtete. Sein ureigener Duft war vielmehr eine natürliche Mischung aus Seife und Wasser, frischer Luft, Regen, Sonne.
Wie er da so stand und sich an den Küchentresen lehnte, sah er attraktiver aus denn je. Sein Haar hatte er zu einem dicken Pferdeschwanz zurückgenommen. Am liebsten hätte Kelly sein Haar gelöst und es durch ihre Hände gleiten lassen. Ob es so weich war, wie es aussah?
Schnell sah Kelly zur Kaffeemaschine hinüber. Der Kaffee tropfte langsam in die Kanne. Auch Shane beobachtete das gebannt. Waren sie sich deshalb so bewusst, dass ihre Eltern sich anziehend fanden, weil es ihnen selbst ähnlich ging?
“Wie kommst du denn mit deiner Mom zurecht?” fragte Shane unvermittelt.
Kelly war erleichtert, dass ihr verlegenes Schweigen ein Ende hatte. “Eigentlich recht gut. Aber sie ist ja auch erst drei Tage hier.”
“Sie drängt dich nicht, Jason zu verklagen?”
“Nein, aber das wird sie schon noch. Im Moment scheint sie ganz in ihrer Rolle als Großmutter aufzugehen.”
Er lächelte. “Das ist ein gutes Zeichen.”
“Ja, das ist es.”
Shane vermisste Brianna, das merkte Kelly deutlich. Ihre kleine Tochter hatte sein Herz erobert. Er würde gern ins Blockhaus zurückkommen und neben dem Baby schlafen.
Gleich darauf war auch der Tee aufgebrüht, und sie stellten alles auf ein Tablett, dazu Kekse, Milch und Zucker. Es sah hübsch aus, irgendwie heimelig, und Kelly überkam unwillkürlich eine schmerzliche Sehnsucht.
Shane nahm das Tablett. “Fertig?”
Sie nickte. Sie hatten kein Wort über ihre Eltern verloren, doch atmeten sie beide tief durch, ehe sie ins Wohnzimmer zurückkehrten. Wir haben ein schlechtes Gewissen, dachte Kelly. Ein schlechtes Gewissen wegen unserer Gefühle füreinander – eine junge Mutter und ein geschiedener Mann, die mit lustvollem Verlangen ihre Einsamkeit bekämpfen wollten.
Während ihre Mutter sich mit Shane über das Wildgehege unterhielt, beobachtete Kelly sie verstohlen.
Linda hatte eine lange braune Hose mit cremefarbener Bluse an. Sie bevorzugte dezente Farben, die zu ihrem schlichten Stil passten. Schmuck trug sie keinen, nicht einmal ihren Ehering. Solange Kelly zurückdenken konnte, war ihre Mutter Witwe. Sie verabredete sich nie, sprach aber auch nie von ihrem verstorbenen Mann. Sie verbrachte ihr Leben als alleinerziehende Mutter und wusste daher nur allzu gut, wie schwierig es war, ein Kind allein großzuziehen.
Kelly runzelte die Stirn. Würde Brianna sie in vierundzwanzig Jahren genauso beschreiben?
Auf einmal wurde laut und vernehmlich an die Haustür geklopft.
Während Shane öffnen ging, hing Kelly noch einen Moment ihren Gedanken nach. Komisch, dass sie nie überlegt hatte, ob ihre Mutter glücklich war.
Gleich darauf erschien Shane mit der atemberaubendsten Frau, die Kelly je gesehen hatte. Sie war sehr farbenfroh gekleidet und hatte schulterlanges pechschwarzes Haar. Sie trug purpurfarbene Ohrringe, die perfekt zu ihrem übrigen Schmuck passten. Sie hatte dunkle, mandelförmige Augen und tiefrote Lippen. Ihr Alter war schwer zu bestimmen, sie schien alterslos.
Als die geheimnisvolle Frau Shane zulächelte, begriff Kelly, dass es seine Mutter war.
“Grace.” Tom stand auf, um sie zu umarmen. “Was für eine Überraschung.”
Kellys Blick fiel auf ihre Mutter. Mit gezwungenem Lächeln saß Linda da und schien in ihrem Sessel zu versinken. Kelly krampfte sich das Herz zusammen. Kein Zweifel, neben einer so faszinierenden, schönen Frau wie Grace Night Wind kam sich Linda farblos und langweilig vor.
Nach einer kurzen Begrüßung würden sie sich höflich verabschieden. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte Kelly ihre Mutter beschützen. Denn wenn eben Shanes gertenschlanke Exfrau hereingekommen wäre, hätte sie es auch eilig gehabt aufzubrechen.
Am nächsten Morgen kündigte sich ein schöner Frühlingstag an. Kelly genoss den Augenblick.
“Wer war denn vorhin am Telefon?”, fragte Linda, als sie aus dem Bad ins Schlafzimmer zurückkam.
Kelly nahm Brianna, die sie eben gewickelt hatte, in die Arme. Zärtlich streichelte sie ihr Köpfchen, während sie tief durchatmete. Hoffentlich würde es keinen neuen Streit mit ihrer Mutter geben.
“Marvin hat angerufen.”
“Dein Anwalt? Was wollte er denn?”
“Jason hat einem Vaterschaftstest zugestimmt. Wir brauchen ihn also nicht dazu zu zwingen.”
“Dem Himmel sei Dank! Demnach ist er
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