Sehnsucht unter suedlicher Sonne
regelmäßig geübt und war sogar im jährlichen Konzert des Grange Hall Colleges aufgetreten. „Würde es Miss Trevelyan nicht stören?“
„Nur, wenn Sie ihre Stücke genauso gut spielen können wie sie selbst“, spottete Derryl.
„Dann sollte ich das freundliche Angebot wohl besser ablehnen?“
„Davon will ich nichts hören, Genevieve“, entschied Bretton. „Das Klavier gehörte meiner Mutter … nicht Tante Hester. Ich rede mit ihr. Ist Ihnen klar, dass Sie indirekt zugegeben haben, eine gute Pianistin zu sein?“
„Aber keine Konzertpianistin“, wandte Genevieve ein. „Wenn Derryl sich über mein Spielen aufregt …“
„Darüber rege ich mich nicht auf, sondern über den Verlust unserer Mutter!“, ereiferte sich Derryl. „Im Übrigen war Mum nicht Tante Hesters Liebling. Glauben Sie mir, Gena, Hester ist eine böse Frau.“
Bretton hob eine Hand. Zweifellos meinte er es diesmal ernst. „Genug, Derryl. Genevieve muss sich das nicht anhören.“
„Aber es interessiert sie sehr, nicht wahr?“, versetzte Derryl.
Das hatte Bretton ebenfalls bemerkt. Er war inzwischen überzeugt, dass Genevieve Grenville ihre Schönheit verbarg, um besser mit der Familie in Kontakt zu kommen. Ob sie wusste, dass er sie ständig überwachen würde? Intelligent genug war sie dazu.
Wir sind anscheinend alle irgendwie miteinander verstrickt, dachte er. Welche Motive mochten die Zauberin mit den Nixenaugen bewegen?
5. KAPITEL
Genevieve begriff sehr schnell, dass sie nicht als Ghostwriterin engagiert worden war. Sie sollte das Buch allein schreiben. Hester Trevelyan hatte Berge von Material zusammengetragen: Urkunden, Zeugnisse, Geburts-, Trau-, Totenscheine, Fotografien und Hunderte von Zeitungsberichten über das Familienleben der Trevelyans und ihre wachsende Bedeutung für die australische Landwirtschaft. Die Fülle der Dokumente war verwirrend und zugleich unglaublich fesselnd. Hier wartete eine reizvolle Aufgabe. Offenbar war kein Stück Papier, das die Familie betraf, jemals weggeworfen worden, und Hester hatte alles gesammelt. Also kannte sie auch die Familiengeheimnisse.
Genevieve befürchtete schon, dass Hester sich zu ihr setzen und sie beim Sortieren der Unterlagen überwachen würde, aber die Angst war unbegründet. Die alte Dame tauchte nur kurz in der Bibliothek auf, zeigte ihr das umfangreiche Material und verschwand wieder mit den Worten: „Sie werden hoffentlich fleißig sein!“ Sie kam und ging wie ein Geist, denn ihre chinesischen Pantöffelchen, die an Ballettschuhe erinnerten, erzeugten auf dem Parkett kein Geräusch.
„Um halb elf machen Sie eine Tee- und pünktlich um ein Uhr eine Mittagspause“, fügte sie an der Tür noch hinzu. „Mrs Cahill wird Ihnen etwas bringen. Es gibt genug Sitzgelegenheiten.“
„Ich werde mir auf der Terrasse ein Plätzchen suchen“, erwiderte Genevieve. „Der Wassergarten atmet den Geist des Zen.“
„Zen?“, wiederholte Hester irritiert. Sie trug einen knöchellangen königsblauen Seidenkaftan mit einem breiten, bestickten Gürtel. Die Ohrstecker und die lange doppelreihige Halskette bestanden aus echten Perlen.
Hester Trevelyan stellte eine Macht im Haus dar, mit der Genevieve rechnen musste. Wie mochte sie in ihrer Jugend ausgesehen haben? Hatte sie die Männer von sich aus gemieden, oder war sie von ihnen geschnitten worden? In der Fotosammlung würde sich vielleicht eine Antwort finden. Es musste Aufnahmen von ihr geben – vielleicht auch welche von Catherine. Da die Haarfarbe auf alten Schwarz-Weiß-Fotos nicht klar zu erkennen war, würde Catherines Ähnlichkeit mit Genevieve sicher stärker hervortreten und ein deutlicher Fingerzeig sein.
„ Djangalas Gärten verraten vielfältige Einflüsse“, erklärte Genevieve schnell. „Vor allem spanische und japanische.“ Vielleicht ließ sich die alte Dame durch den Hinweis milder stimmen. „Der Landschaftsarchitekt hat hier großartige Arbeit geleistet. Geharkte Sandflächen mit asymmetrisch gesetzten Steinen findet man sonst nicht bei uns.“
„Was Sie nicht sagen!“ Hester zeigte sich durch den Hinweis nicht im Geringsten beeindruckt. Anscheinend war der Mann für ihren Geschmack zu weit gegangen. „Bitte fangen Sie jetzt mit der Arbeit an. Ich zahle Ihnen ein erstklassiges Gehalt … vermutlich weit mehr, als Sie verdienen, aber diese McGuire bestand darauf. Bretton übrigens auch. Er ist äußerst großzügig. Das ist sein Fehler.“
Bei den letzten Worten verklärte sich ihr
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