Sehnsucht unter suedlicher Sonne
Gesicht geradezu. Sie schien ihren älteren Neffen zu vergöttern.
Armer Derryl!
Gut, dass er wenigstens ein Internat und die Universität besucht hat, dachte Genevieve. Ob Romayne manchmal mit ihrem Mann zu Besuch kam? Bestimmt wurden sie mit offenen Armen empfangen.
Seltsam, dass keines der Geschwister auf den Gedanken gekommen war, einen neuen Wohnsitz für Hester zu suchen – etwa ein Penthouse am Hafen von Sydney. Die Entfernung wäre groß genug gewesen …
Du bist gerade erst angekommen und steckst schon tief in den Familienangelegenheiten drin.
War es Catherine genauso ergangen? Genevieve zweifelte nicht daran, und ihr Herz klopfte erwartungsvoll.
Genevieve hatte die Zeit völlig vergessen, als Nori um ein Uhr erschien.
„Wie kommen Sie voran?“, fragte sie und stellte ein Tablett, das sie mitgebracht hatte, auf einen runden Tisch, dessen gewirkte Decke bis zum Boden reichte. Sie brachte nur einen leichten Lunch: Kaffee, einen Teller mit Sandwiches und einen mit Schokoladenkuchen. Sie wusste, dass Genevieve gut gefrühstückt hatte.
Genevieve reckte und streckte die Arme, stand auf und lockerte ihre Schultern. „Die Arbeit, die vor mir liegt, ist schlecht abzuschätzen“, antwortete sie. „Schon die erste Durchsicht des Materials könnte einen entmutigen. Es ist nie etwas weggeworfen worden. Hoffentlich mache ich Ihnen keine zusätzliche Mühe, Nori. Ich kann mir die Sachen auch selbst aus der Küche holen.“
Nori lächelte hintergründig. „Ich befolge nur Miss Trevelyans Anordnung.“
„Bei Androhung der Todesstrafe? Sie hat gesagt, ich solle hier drinnen essen, aber ich nehme alles mit hinaus an die frische Luft. Der Wassergarten ist so wunderschön.“
„Das Grundwasser wird dafür hochgepumpt. Wir befinden uns hier über dem Großen Artesischen Becken, wie Sie vielleicht wissen. Soll ich das Tablett hinaustragen?“
Genevieve schüttelte lächelnd den Kopf. „Vielen Dank, das mache ich selbst. Ich bin tatsächlich hungrig.“
„Das ist gut“, lobte Nori.
Genevieve erschrak gewaltig, als Bretton plötzlich aus heiterem Himmel in der Bibliothek auftauchte. Sie wusste, dass er meist von früh bis spät draußen war, und hatte erwartet, ihn erst beim Abendessen wiederzusehen. Und nun war er plötzlich da, lautlos wie ein schwarzer Panther, der um seine Beute schleicht. Wie er so leise auftreten konnte, war Genevieve schleierhaft, denn er trug schwere Cowboystiefel.
„Habe ich Sie erschreckt?“, fragte er mit seiner warmen Stimme, die so sexy klang, dass Genevieves Blut sofort in Wallung geriet. Sie musste lernen, sich besser zu beherrschen.
„Sie bewegen sich wie eine Raubkatze“, brachte sie mühsam hervor.
„Es gibt im Outback aber keine. Immer noch bei der Arbeit?“
Genevieve rückte die Papiere zurecht, die vor ihr lagen. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Brettons starke sinnliche Ausstrahlung wirkte wie ein Zauber, dem sie sich nicht entziehen konnte.
„Und wie.“ Zum Glück klang ihre Stimme ganz normal. „Die Aufgabe ist eine echte Herausforderung, was sie umso interessanter macht. Mit Ihrem Besuch hatte ich allerdings nicht gerechnet.“
Wie hatte sie das sagen können? Er brachte sie aus der Ruhe, und sie hatte keine Zeit gehabt, dagegen Schutzmechanismen zu entwickeln. Womit sie auf dieser Reise auch gerechnet haben mochte – mit Bretton Trevelyan bestimmt nicht.
„Ich würde Sie gern durch unsere Ställe führen“, sagte er, als hätte er den rosigen Hauch auf ihren Wangen nicht bemerkt. „Von Freitag bis Montag bin ich nicht da. Ich muss mehrere Außenstationen kontrollieren und überlasse Derryl und seinen Freunden das Feld. Sie dürfen sich ein Reitpferd aussuchen … vorausgesetzt, Sie überzeugen mich, dass Sie mit ihm umgehen können.“
„Ich wurde zwar nicht in den Sattel gesetzt, bevor ich laufen konnte – wie es wahrscheinlich bei Ihnen der Fall war –, aber ich sagte ja schon, dass ich eine geübte Reiterin bin. Offenbar haben Sie das nicht ernst genommen.“
„Ich nehme Ihre Sicherheit ernst“, beteuerte er. „Kommen Sie. Ich habe nicht viel Zeit.“
Genevieve zögerte. „Und Miss Trevelyan?“
Bretton sah sie mit seinen dunklen Augen an. Sie hatten einen seltsamen Glanz. „Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen, Genevieve“, erklärte er. „ Ich bin der Boss. Das weiß Hester.“
„Nun, das war deutlich genug.“ Leider achtete sie kaum noch auf das, was sie sagte, weil sie sich in seiner Gegenwart
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