Sehnsucht
der Liebe, sondern auch von der Kraft der alten Ãngste ab, es ist ein Dilemma.
Sehnsucht, die aus Angst entsteht
Das Liebesglück schien diesmal perfekt zu sein: Italien, Sonne, gekühlter Rosé, lauer Sommerwind und eine wiedergefundene Liebe, die längst verloren schien. Das Paar hatte sich nach vielen Kränkungen und Verletzungen mehrfach getrennt, aber sie kamen nicht voneinander los. Also beschlossen sie eine gemeinsame Reise, wie sie es früher immer gern gemacht hatten, als sie sich noch liebten. Und sie fuhren dahin, wo Verliebte mindestens einmal im Leben hinfahren müssen: nach Cinque Terre, den fünf kleinen Dörfern an der ligurischen Küste. Dort gibt es nur eine Bahnverbindung zwischen den Orten, keine AutostraÃe. Sie liegen malerisch an der Steilküste und als Verbindung gibt es einen Wanderweg, der oben an der Küste entlangführt. Man wandert durch Olivenhaine, immer mit dem Blick auf das Meer, von einem Ort zum anderen, genieÃt die Natur, vertieft in Gespräche oder gemeinsames Schweigen und ist am Abend zufrieden, wenn man im Hotel ein wunderbares Essen mit Antipasti, frischem Fisch, Oliven, Brot und Wein genieÃen kann. Diese Wanderungen sollen sich belebend auf jede Liebesbeziehung auswirken.
Das Paar war zwölf Jahre mit wiederkehrenden Konflikten zusammengewesen, bevor sie sich in einem quälenden Prozess über zwei Jahre trennten. Beide hatten es mit neuen Beziehungen versucht, aber mit wenig Erfolg. Irgendeine Macht brachte sie immer wieder zusammen, sie verloren nie den Kontakt und trafen sich auch immer wieder. Aber sobald es wirklich schön wurde und sie wieder kurz davor waren, zusammenzukommen, gab es einen groÃen Streit über irgendein banales Problem und sie gingen wieder auseinander. Sie konnten nicht zusammenkommen, konnten sich aber auch nicht trennen. Dann erinnerten sie sich wehmütig an die wunderbaren gemeinsamen Reisen und fuhren aus reinem Ãbermut nach Cinque Terre, so wie sie es sich schon oft vorgenommen hatten. Sie hatten eine wunderbare Zeit dort,zwei erstaunlich unkomplizierte Wochen, sie konnten es beide kaum glauben. Und dann passierte etwas Schreckliches, was sie beide nicht verstanden.
In der Paartherapie zwei Monate später sagte die Frau:
Es war zu schön, um wahr zu sein. Also bin ich an sein Handy, weil ich diesen Zweifel in mir hatte und habe diese SMS gefunden. Darin stand: Ich liebe dich für immer! Und er hatte versucht, ein Bild der Bucht, in der wir so glücklich waren, noch anzuhängen, damit seine Geliebte sie sehen konnte. Stellen Sie sich das mal vor: Wir sind total glücklich, wie seit Jahren nicht mehr, haben darüber gesprochen, nun doch wieder zusammenzuziehen und vielleicht noch ein Kind zu bekommen, und dann schreibt er eine SMS an diese Frau mit dieser Liebeserklärung und einem Foto unserer Bucht. Ich fasse es nicht, dieser Mann bringt mich um. Sie weint heftig und der Mann sieht mich hilflos an. Ich weià auch nicht, warum ich das gemacht habe. Die beiden letzten Jahre hatte ich eine tiefe Sehnsucht, wieder mit ihr zusammenzusein, wir waren total glücklich und dann schreibe ich diese SMS. Vielleicht können Sie uns helfen, das zu verstehen.
Zur Vorgeschichte: Der Mann war groà geworden mit einem abwesenden Vater und einer unerreichbaren Mutter, die er als kalt und abweisend beschrieb. Er habe sich seine ganze Kindheit über immer nach der Liebe seiner Mutter gesehnt, aber diese nie erhalten. Deshalb habe er gelernt, sich damit abzufinden und sich in seiner Sehnsucht häuslich eingerichtet. Er war zu der festen Ãberzeugung gekommen, dass er die Liebe dieser Frau sowieso niemals bekommen werde, obwohl er die Sehnsucht danach niemals aufgegeben hat. Und immer dann, wenn er ihr besonders nah war, hatte sie ihn wieder zurückgewiesen. Als ich ihn frage, wie er sich dann davor geschützt habe, antwortet er: mit einem inneren Sicherheitsabstand. Ich habe mich innerlich nie ganz auf sie eingelassen, denn so konnte ich auch nicht enttäuscht werden.
Seine spätere Frau hatte als Kind einen Vater, der zu ihr zwar liebevoll sein konnte, aber in seiner Liebe unberechenbar war.Wenn sie sich ihm näherte, konnte es sein, dass er sie liebevoll in den Arm nahm oder aber einen cholerischen Anfall bekam und sie abwies oder gar schlug. Sie wusste nie, woran sie bei ihm war, konnte seine Stimmungen nicht lesen. Auch sie hatte also eine bedrohliche Form der
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