Sehnsucht

Glücksgefühle mindert. Und obwohl die materiellen Lebensbedingungen seit 1960 in Europa stetig angestiegen sind, hat es die Menschen anscheinend nicht glücklicher gemacht: Heute grübeln etwa zehn Mal so viele Menschen selbstquälerisch vor sich hin als vor 50 Jahren – und dies nicht nur in Deutschland.
    Die Psychologie hat sich bislang kaum mit dem Glück beschäftigt, zu Depressionen gibt es jedoch mehr als 20 Mal so viele Forschungen. Gleichzeitig wissen wir mittlerweile durch empirische Daten: Glücksgefühle sind wirksam gegen Depressionen und Stress, da sie das Stresshormon Kortisol reduzieren. Glückliche Menschen sind optimistischer, dankbarer und flexibler im Denken. Sie sind aktiver, hilfsbereiter und kooperativer im Alltag, effizienter und erfolgreicher im Beruf, energievoller und zufriedener in ihren privaten Beziehungen. Simone de Beauvoir hielt allerdings solche Frauen für unglücklich, die Männer so sehr lieben, dass sie sie heiraten. Demgegenüber ist empirisch erwiesen, dass sich Männer und Frauen in stabilen Liebesbeziehungen glücklicher einschätzen als Singles, Geschiedene oder Verwitwete. Aber das kann auch nur eine Selbsttäuschung sein. Wogegen man allerdings nichts einwenden kann, wenn sie denn wirkt. Für die meisten Menschen sind weiterhin Freude, Lust und Glück eng mit der persönlichen Weiterentwicklung und einer Intensivierung der persönlichen Beziehungen verbunden. Deshalb gilt nach wie vor der erste Satz aus Leo Tolstois Anna Karenina: Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklic h 35 .
    Wonach sehnen wir uns also, wenn wir nach Glück streben? Kann es sein, dass uns manchmal gar nicht bewusst ist, was wir uns am meisten wünschen? Dass unsere tiefsten Sehnsüchte uns selbst verborgen sind, sie aber zugleich auf besondere Weise unser Leben beeinflussen oder gar steuern? Dann merken wir vielleicht an einer gewissen Unzufriedenheit, dass in unserem Leben etwas fehlt, aber wir haben gar keine genaue Vorstellung davon und verfolgen zugleich Ziele, die eigentlich gar nicht zu uns passen. Dann surfen wir vielleicht im Internet, sind irgendwie unruhig und meinen zu wissen, was wir suchen, aber eigentlich ist es etwas ganz anderes. Wie kann man diese tiefen Sehnsüchte erkennen und sicher sein, was zum Glück noch fehlt?
    Zwei ungeliebte Kinder
    Es war am Anfang einfach Neugier, ich wollte nur mal aus Neugier in diese Partnerschaftsbörse. Dann hab ich die Fragen beantwortet, mich angemeldet und schon bekam ich die ersten Antworten auf meinen Computer.
    Sie meinen das nur aus Neugier gemacht zu haben?
    Ja, vielleicht findet man doch noch was Besseres, man weiß ja nie …
    Etwas Besseres als Ihren Mann, Ihre Paarbeziehung? Was ist denn so schlecht daran?
    Gar nichts, nicht wirklich … Aber Sie wissen doch, wie das ist, wenn so eine Beziehung im Alltag landet und in die Jahre kommt. Man kennt sich, die Aufmerksamkeit lässt nach, der Sex ist nicht mehr so leidenschaftlich, bei den Gesprächen weiß man schon vorher, was der andere sagt …
    Ihre Sehnsucht wurde im Alltag nicht mehr befriedigt, meinen Sie das?
    Genau. Im Internet kann man mal wieder träumen, da bemüht sich jemand um mich, neulich hat mir sogar jemand ein Gedicht geschrieben, das hat man doch alles im Alltag nicht mehr.
    Wonach sehnen Sie sich denn, was sind denn Ihre Tagträume?
    Nachmittags, wenn ich allein bin, beim Staubsaugen zum Beispiel, bekomme ich manchmal ganz romantische Anfälle. Ich bekomme immer nur Sehnsucht nach meinem Mann, wenn er nicht da ist.
    Das ist meistens so mit der Sehnsucht, man sehnt sich immer nur nach dem, was man nicht hat. Und was machen Sie dann?
    Wenn ich dann meinen Mann anrufe, ist der ganz genervt, weil er gerade in einer Sitzung ist und vielleicht sprechen wir noch kurz darüber, was wir abends essen.
    Erzählen Sie mir doch bitte von Ihren romantischen Anfällen in Ihren Tagträumen, worum geht es da?
    Es geht um Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit, Nähe, Austausch und vor allem Wertschätzung. Ich empfinde keine wirkliche Wertschätzung mehr durch meinen Mann.
    Und bekommen Sie die im Internet?
    Na ja, die kennen mich ja nicht wirklich. Ich ziehe mir dann das raus, was mir passt und wenn nicht, dann klicke ich einfach weg.
    Sie gehen also mit Ihrer Sehnsucht ins Internet, ziehen sich das raus, was