Sehnsucht
geht auf die Namensänderung einen trinken, um am anderen Morgen mit brummendem Schädel wieder aufzuwachen. Das Geld ist versoffen, der Name bleibt und die Identität damit auch. Eine Lösung des Identitätsproblems also, die ganz seinem Vater entsprach, geradezu eine Liebeserklärung an ihn. Als er ihn endlich wiedersieht, ist sein Vater seit Jahren trocken â fast trocken, bis auf ein paar doppelte Wodka-Martini ohne Eis mit zwei Oliven.
Eine Woche hing ich in der Wohnung meines Vaters herum, las seine Bücher, rauchte seine Zigaretten, hörte mir seine Sendung an. Für mich war es die Verwirklichung eines Kindheitstraumes, seine Stimme zu hören und zu wissen, wann Schluss war und er nach Hause kommen würde. 46
Sie lebten zusammen und er genoss seinen wiedergefundenen Vater, auch wenn alles irgendwie ein Trugschluss war, denn die Basis unserer neugefundenen Nähe waren natürlich Cocktails 47 . Sie besuchen seine Freundin und trinken auf dem Weg schon mal ein paar Cocktails. Dann kommt es zum Streit, der Vater rastet aus und geht mit einem Messer auf den Sohn los. In einem entlegenen Winkel meines Gehirns ahnte ich, dass meine Mutter sich damals genau dem gleichen Schreckgespenst gegenüber gesehen hatte â meinem durchgedrehten Vater mit dem Messer in der Hand. 48 Kurz bevor es zum Kampf zwischen Vater und Sohn kommt, lässt der Vater das Messer fallen und stürzt davon. Dieses Erlebnis verändert alles in ihm und befreit ihn von allen Idealisierungen, Illusionen und Sehnsüchten. Denn an jenem Morgen, befreit von den lebenslangen Illusionen über meinen Vater und über ein paar andere Männer und über Männer allgemein, klopfte ich mir pfeifend Rasiercreme auf die Wangen, denn ohne Illusionen zu sein hieÃ, ich war auf mich allein gestellt. 49 Als er sich von der Freundin seines Vaters verabschiedet, sagt diese den entscheidenden Satz zu ihm: Dein Vater ist kein guter Mann, aber du bist nicht dein Vater. 50 Dasänderte schlagartig alles für ihn, es war die ernüchternde Wirkung der Realität auf die ewig bohrende Sehnsucht. Er hatte sich seit seiner Kindheit ein idealisiertes Bild seines Vaters gemacht, hatte ihn jahrelang bei Hunderten von Cocktails imitiert und dabei sein eigenes Leben und sein Potential immer wieder vernachlässigt, war in den entscheidenden Momenten seines Lebens immer wieder in Bars gelandet, weil er dort die symbolische Vaternähe spürte, die ihm so gut tat und das schmerzliche Vermissen nicht mehr spüren lieÃ. Nach diesem Ereignis beschlieÃt er, keinen Alkohol mehr zu trinken und damit nicht mehr im Alkohol die Nähe zu ihm zu suchen. Als der Vater Jahre später stirbt, geht er nicht zur Beerdigung, aber später allein zum Grab. Danach besucht er ein letztes Mal die Bar und verabschiedet sich auch von all den Männern, die er so geliebt und deren Nähe er immer gesucht hatte.
Seine Sehnsucht war gestillt. Er hatte nicht nur seinen Vater bekommen und mit ihm gelebt, er hatte damit auch den inneren idealisierten Vater wie ein Gespenst aus der Vergangenheit vertrieben. Das Ideal des Vaters lieà sich im Angesicht der Realität nicht mehr aufrechterhalten. Seit er von seinem Vater getrennt gewesen war, hatte er sich nach ihm gesehnt und in seiner Phantasie einen wunderbaren, eben fantastischen Vater aufgebaut. Dieses Bild konnte nur durch das eigene reale Erleben bestätigt oder korrigiert werden. Als dies geschehen war, hatte die Sehnsucht keine Chance mehr und er war da, wo er immer hin wollte: Er war ein Mann geworden. Aber es hatte ihn viele Schmerzen und Umwege gekostet â und viele Drinks.
5. Â
Weltumsegler und andere Wunderkinder â
Von Stellvertretern und Delegierten
Eure Kinder sind nicht eure Kinder!
Sie sind die Söhne und Töchter
der Sehnsucht des Lebens nach Erfüllung.
Khalil Gibran
Wir sind doch alle
darauf getrimmt zu glauben,
unsere Kinder seien wichtiger als wir,
und wie aus zweiter Hand
durch sie zu leben.
Jonathan Franzen
Dreidimensional â 3D â ist in den Medien modern, weil man dann einen Film nicht mehr nur von auÃen betrachtet, sondern von innen, so als ob man dabei ist. Die Erlebnisqualität ist um ein Vielfaches gröÃer, man ist nicht mehr nur Betrachter, sondern fühlt sich zugleich als Akteur. Man sieht nicht nur, wie einer fliegt, man fliegt selbst mit. Auf diese Weise bekommt man einen
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